Lexikon der Fernerkundung

Naturgefahren und Fernerkundung

Weltweit nimmt die Bedrohung des menschlichen Lebensraums durch Naturgefahren als Phänomene mit einer großen räumlichen Dimensionen und Auswirkungen immer stärker zu. Dabei liegen die Ursachen sowohl in der zunehmenden Besiedlung als auch in den sich verändernden Umweltbedingungen liegen. Entsprechend steigt die Nachfrage nach Kriseninformation im Rahmen von Naturkatastrophen wie Überflutungen, Erdbeben, Vulkanausbrüchen, Hangrutschungen, etc. Gleichzeitig erhöht sich die Bedeutung eines nachhaltigen Gefahrenmanagements, das auf eine schnelle Reaktion im Katastrophenfall ebenso wie auf langfristige Vorbereitung und Vorsorge ausgerichtet ist.

Während solcher Krisenereignisse liegen die Herausforderungen insbesondere in der schnellen Bereitstellung der relevanten Information und im Zusammenwirken aller Beteiligten. Diese aktuellen raumbezogenen Informationen zur Schadenslage können inzwischen zu einem großen Teil durch die Analyse von Fernerkundungsdaten abgeleitet werden. Auf vielfältige Weise trägt die Satellitenfernerkundung auch zur Entwicklung von effektiven und weltweit einsatzbaren Strategien zur Risikominimierung bei.

Die Bandbreite der Naturgefahren und deren Auswirkungen auf die natürliche und künstliche Umwelt machen die Auswahl der geeigneten Datentypen und Analysen zu einer anspruchsvollen Aufgabe. Daher ist es wichtig, dass man die Auswirkungen jedes Phänomens sowie die möglichen Beziehungen zwischen ihnen versteht, sowohl in der zeitlichen als auch in der räumlichen Dimension. Darüber hinaus muss man die Verfügbarkeit und die Kosten der Daten berücksichtigen, um die Auswahl des geeigneten Datentyps und die Analyse einzuleiten, sowie das Potenzial verschiedener Satelliten-Missionen.

Am 28. September 2018 wurde die indonesische Insel Sulawesi von einem Erdbeben der Stärke 7,5 heimgesucht. Das Beben löste einen Tsunami aus, der riesige Wassermengen - bis zu 10 m hoch - durch eine lange schmale Bucht trieb und die am Ende der Bucht gelegene Provinzhauptstadt Palu unter Wasser setzte. Die Kombination aus Erdbeben, Tsunami, Bodenverflüssigung und Erdrutschen forderte in mehreren Bezirken weit über 2000 Menschenleben, zerstörte Häuser, Gebäude, Infrastruktur und Ackerland (vgl. folgende Abb.)

Diese Karte zeigt die Bodenbewegung in den sechs Monaten nach dem Ereignis. Sie wurde durch die Verarbeitung von Copernicus Sentinel-1 Bildern gewonnen, die zwischen Oktober 2018 und April 2019 aufgenommen wurden. Die Ergebnisse überlagern ein Echtfarb-Komposit aus der Copernicus Sentinel-2 Mission. Daraus erstellte Karten in größerem Maßstab geben dann Auskunft über Stabilität einzelner Gebäude.

Die ESA und die Asiatische Entwicklungsbank haben sich zusammengeschlossen, um die indonesischen Behörden bei der Verwendung und Interpretation solcher Karten zu unterstützen, die als Leitfaden für Wiederaufbaupläne dienen.

Bodenverlagerungen um die Provinzhauptstadt Palu (Sulawesi) Palu shifted Quelle: ESA

Insbesondere können wichtige Angaben nach akuten Ereignissen zur Schadensabschätzung und -ausbreitung schnell, aktuell, großflächig und sehr präzise bereitgestellt werden. Darüber hinaus kann die Fernerkundung im Bereich der Katastrophenvorsorge als auch zum Monitoring von Wiederaufbaumaßnahmen als wichtige Informationsquelle dienen. Entsprechende Werkzeuge werden an vielen Instituten weltweit entwickelt und bereitgestellt.

Beispielsweise liegt der Forschungsfokus einer Arbeitsgruppe am Earth Observation Center (EOC) des DLR auf der Entwicklung, Implementierung und operationellen Anwendung von semi-automatischen bzw. vollautomatischen Prozessierungsketten und Analysemethoden zur Ableitung von Fernerkundungsparametern für Fragestellungen zu Georisiken, insbesondere zur Erkennung des Ausmaßes bzw. von Schäden während und im Nachgang von Naturkatastrophen unter Verwendung von niedrig-, mittel- und hochauflösenden Radar, optischen und thermalen Erdbeobachtungsdaten.

Schwerpunktthemen sind die Ableitung des Ausmaßes, der Dauer und der zeitlichen Dynamik von Hochwasserereignissen, die Detektion von Brandflächen, aktiven Vulkanen und Waldbränden, die Erfassung von Dürrekatastrophen sowie die Erfassung von abrupten Zustandsänderungen auf der Erdoberfläche (z.B. verursacht durch Erdbeben, Tsunamis, Vulkaneruptionen, Hangrutschungen, etc.). Hierbei finden vor allem pixel- und objektbasierte Klassifikationsalgorithmen, Algorithmen zur automatischen Schwellwertfindung, generische Change Detection-Methoden, Methoden des maschinellen Lernens sowie GIS-Analyseverfahren Anwendung.

Die Entwicklungen des Teams am EOC unterstützen u.a. unmittelbar die operationelle Tätigkeit des Zentrums für Satellitengestützte Kriseninformation (ZKI). Zudem koordiniert das Team die Bereitstellung des technisch-operativen Beitrags des DLR im Rahmen der Internationalen Charta „Space and Major Disasters“. (DFD)

Mit dem europäischen Erdbeobachtungsprogramm Copernicus haben sich völlig neue Möglichkeiten eröffnet. Der global freie Zugang zu den zeitlich und räumlich hochauflösenden Daten von Sentinel-1/2 schafft die Grundlage für ein großräumiges und kontinuierliches Monitoring von potenziell gefährlichen natürlichen Prozessen und ihren Auswirkungen auf den menschlichen Lebensraum. Die Kombination dieser Daten mit den mehrere Jahrzehnte zurückreichenden, frei verfügbaren Landsat-Archiven und Daten anderer Satellitenmissionen (z. B. RapidEye, ALOS, TerraSAR-X) ermöglicht ein langfristiges Monitoring als Voraussetzung für eine differenzierte raumzeitliche Prozessanalyse, die wiederum die Grundlage für eine objektive und dynamische Gefährdungseinschätzung bildet.

Die Satellitenfernerkundung kann beispielsweise für eine großräumige Analyse der Hangrutschungsgefährdung eingesetzt werden. Dabei ist eine möglichst genaue raumzeitliche Rekonstruktion der Hangrutschungsaktivität wichtig. Am GFZ wurde dafür eine automatische Methode entwickelt, welche die großräumige und langfristige Rekonstruktion einer Hangrutschung erlaubt. Die folgende Abbildung zeigt das Ergebnis der Anwendung dieser Methodik auf ein mehr als 10 000 km² großes Gebiet in Südkirgisistan, das von starker Hangrutschungsaktivität betroffen ist. Räumlich und zeitlich hochauflösende RapidEye-Daten, die im Rahmen des vom DLR geförderten Programms RapidEye Science Archive (RESA) zur Verfügung gestellt wurden, bildeten die Grundlage für eine automatische Zeitreihenanalyse, in deren Ergebnis flächengenaue Hangrutschungsobjekte abgeleitet wurden. Die inzwischen global verfügbaren Sentinel-2-Daten ermöglichen eine Übertragbarkeit der entwickelten Methodik auf andere gefährdete Regionen. (GFZ)

Satellitenfernerkundung bei einer großräumige Analyse der Hangrutschungsgefährdung

Satellitenfernerkundung bei einer großräumige Analyse der Hangrutschungsgefährdung

Links: Automatische raumzeitliche Detektion von Hangrutschungsobjekten in Südkirgisistan im Zeitraum von 2009 bis 2016 auf der Basis von Datenzeitreihen der RapidEye-Satelliten.

Oben rechts: Jährliche Summenstatistik nach Fläche (schwarz) und Anzahl (rot) der Hangrutschungen.

Unten rechts: Beispiel für automatisch detektierte Hangrutschung (Foto: R. Behling, GFZ)

Quelle: GFZ

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