Lexikon der Fernerkundung

Militärische Fernerkundung

Sektorspezifische Fernerkundung bezüglich rein militärischer Informationen, aber auch bezüglich Geoinformationen zur Koordination von Streitkräften, zur Optimierung ihrer militärischen Mittel und zur Gewährleistung einer soliden Entscheidungsfindung. Somit ist Fernerkundung Teil der militärischen Aufklärung, bei der man unterscheidet strategische, operative und taktische Aufklärung unterscheidet. Dabei beschäftigt sich die strategische Aufklärung eher mit den Absichten und Möglichkeiten feindlicher Kräfte, operative Aufklärung mit den Absichten und taktische Aufklärung mehr mit dem, was feindliche Kräfte unternehmen.

Entsprechende technische Systeme sind

Praktisch seit Beginn der Raumfahrt vor ca. 50 Jahren haben die damaligen Großmächte (die USA und die UdSSR) Spionagesatelliten entwickelt und ins All geschickt. Sie wurden entwickelt, um die Aktivitäten anderer Länder mithilfe von Instrumenten mit hoher Raum- und Spektralauflösung zu beobachten. So dienen sie der Aufklärung potenzieller Gegener sowie von Konfliktgebieten und die rechtzeitige Warnung vor Bedrohung. Einige dieser Geräte wurden auch entwickelt, um eventuelle nukleare Explosionen festzustellen oder auch um frühzeitig den Start feindlicher ballistischer Raketen aufzudecken (Frühwarnsysteme). Unterstützungssysteme dienen auch der Sicherstellung der Führung der eigenen Kräfte im Konfliktfall. Vor allem sind dies Mittel und Systeme zur Kommunikation und Navigation sowie zur Ermittlung der geographischen und meteorologischen Einsatzbedingugen. Satelliten als Unterstützungssysteme sind derzeit vermutlich die einzigen operationellen militärischen Systeme im Weltraum.

Die Systeme, Technologien und Methoden der im zivilen Bereich angewandten Kartographie mittels Satelliten sind zumeist aus militärischen Programmen entlehnt. Die ersten photogrammetrischen Kameras auf Satelliten flogen als streng geheime Missionen der USA und der früheren UdSSR. Die amerikanische Armee hat bereits 1959 erste experimentelle Erdbeobachtungsgeräte (Discoverer und Samos) in eine Umlaufbahn gebracht. Diese Pioniere haben ihren Platz inzwischen Dutzenden von Spionagesatelliten des Typs Key-Hole (KH) überlassen. Die Sowjetunion ist diesem Beispiel mit ihrem Prototypen Kosmos-4, alias Zenit-2 (1962) und dessen zahlreichen Nachfolgern gefolgt. Die Filme wurden mit Kapseln abgeworfen und schwebten an Fallschirmen zur Erde.

Diese ersten militärischen Fernerkundungsgeräte unterschieden sich von anderen Beobachtungssatelliten durch die sehr niedrige Umlaufbahn, ihre kurze Lebensdauer im Weltraum (wenige Tage bis Wochen) und durch ihre Optik. Aus technischer Sicht waren sie lediglich mit sehr ausgeklügelten Fotoapparaten ausgestattet. Sobald sie sich auf einer zu dem zu untersuchenden Objekt passenden Umlaufbahn befanden, spulten sie ihren Film ab. Ihre Mission endete, sobald der Film vollständig belichtet war. Der belichtete Film wurde in einer Kapsel abgeworfen und von Spezialfluzeugen in der Luft aufgefangen. Zurück auf der Erde wurde der Film entwickelt und die einzelnen Aufnahmen analysiert. Das unter dem Namen CORONA geführte Programm der Amerikaner wurde bis 1972 praktiziert. Das Konzept des analogen Fils mit dem Abwurf der Filmkapsel wurde Mitte der 1970er Jahre durch vollelektronische Systeme abgelöst. In den 90er Jahren wurden die damals gewonnenen Aufnahmen unter Präsident Clinton der Öffentlichkeit zugänglich gemacht (Historical Imagery Declassification Fact Sheet). Sie liegen in digitalisierter Form vor.

Durch die technischen Entwicklungen und Fortschritte der vergangenen 40 Jahre konnte das Militär immer raffiniertere Geräte einsetzen: mit rechnergestützter Bildverarbeitung, Infrarot- und Radargeräten und mit der Fähigkeit, die Daten aus dem Weltraum zur Erde zu senden. Es war also nicht mehr nötig zu warten, bis relevante Teile von Satelliten wieder auf die Erde zurückgekehrt waren, um die gesammelten Daten auszuwerten.

Die von Militärsatelliten verwendete Auflösung der Sensoren ist naturgemäß geheim. Aber angesichts der Fähigkeiten der leistungsfähigsten zivilen Satelliten kann man diese mehr oder weniger abschätzen (s. Wikipedia 'Spionagesatellit'). Die neueste Generation der US-Aufklärungssatelliten im optischen Bereich soll geometrische Auflösungen kleiner als 10 cm erreichen. Mittels geostationärer Datenrelaisstationen stehen diese Aufnahmen auch in Echtzeit und wahrscheinlich zeitweise als Videosequenz zur Verfügung. Die technische Auslegung und Größe dieser Satelliten ist dabei mit dem Hubble Space Telescope zu vergleichen. Mit ausreichend Treibstoff an Bord sind diese Satelliten auch in der Lage, die Inklination und die Höhe ihres Orbits zu verändern, um bestimmte Ziele auf der Erde früher oder öfter zu erreichen. Die vom US National Reconnaissance Office (NRO) betriebenen Satelliten sind mit der Bezeichnung Keyhole ("Schlüsselloch") versehen.

Militärische Satelliten weisen gegenüber zivilen Versionen verschiedene Unterschiede auf. Dazu gehören die Abschirmung der Satelliten gegen Strahlung oder auch ihre Fähigkeit, je nach Krisensituation rasch die Umlaufbahn zu wechseln. Das setzt also voraus, dass die Militärsatelliten über mehr Treibstoff verfügen müssen, da sie einen höheren Verbrauch haben. Sie müssen aber auch die Fähigkeit besitzen, ein und denselben Punkt auf dem Globus mehrmals überqueren zu können, um die Entwicklung einer Situation zu verfolgen.

Ferner können Satelliten als Träger von optischen oder Radarsensoren – anders als Flugzeuge oder Drohnen – jederzeit ohne Verletzung von Hoheitsrechten aufklären. Sie sind damit besonders geeignet, ohne eskalierende Wirkung Informationen zur Krisenfrüherkennung, Krisenvorsorge und zum wirksamen Krisenmanagement zu gewinnen. Dabei haben Radarsatelliten gegenüber optischen Satelliten den Vorteil, dass sie unabhängig von Tageszeit und Wetter aufklären können.

Wegen der nicht gegebenen Allwetterfähigkeit der optischen Systeme benötigen sicherheitsrelevante Anwendungen tag-, nacht- und allwetterfähige aktive Radarsysteme (Synthetic Aperture Radar). Einige wenige solcher Systeme sind seitens des US-Militärs im Einsatz (Lacrosse).

Neben dem Aufgabenspektrum, das auch bei zivilen Erdbeobachtungsmissionen zu finden ist, sind für die militärische Nutzung die Ermittlung von Geländedaten (-modelle, -profile) und anderen Merkmalen bedeutsam oder auch die hochgenaue Vermessung des Gravitationsfeldes für die Berechnung der Bahnen von Interkontinentalraketen.

Angesichts der historischen amerikanisch-russischen Vorherrschaft im Bereich der Fernerkundung haben sich auch andere Nationen mit Erdbeobachtungsgeräten ausgestattet. So hat Israel 1988 seinen ersten Satelliten der Offeq-Serie ins All geschickt. Vor nicht allzu langer Zeit hat sich auch China mit Erdbeobachtungssatelliten ausgerüstet, mit rückführbaren FSW-Kapseln (Fanhui Shei Weixing) und einem System mit doppeltem – zivilem und militärischem – Zweck, dem Zi Yuan, mit dem auch Daten an die Erde gesendet können.

In Europa entwickelte Frankreich in Zusammenarbeit mit Italien und Spanien seit 1995 die optischen Satelliten der Reihe HELIOS I. Das französische Militärprogramm HELIOS II (ein Satellit, der von der zivilen Plattform SPOT abstammt), ebenfalls im optischen Bereich, befindet sich heute im Orbit. Der Satellit Hélios-2A wurde im Dezember 2004 gestartet. Seine Bilder werden von der französischen Armee genutzt, aber es bestehen auch Partnerschaften mit Spanien, Belgien, Italien, Deutschland und Griechenland. Der zweite Satellit dieser Baureihe, Hélios-2B, wurde 2009 gestartet, um die Beobachtung bis mindestens 2014 zu übernehmen.

Deutschland setzt seinerseits auf eine Konstellation mit militärischen Radarsatelliten: das Programm SAR-Lupe. Hierbei handelt es sich um eine Gruppe von fünf Geräten, von denen das erste bereits im Dezember 2006 gestartet wurde.

Frankreich entwickelt derzeit zwei Zwillingssatelliten für optische Beobachtungen: Die sogenannten Pléiades bestehen aus zwei kleinen Satelliten mit einer Raumauflösung von 0,7 m und einem Sichtfeld von 20 km. Die Satellitengruppe Pléiades wird stereoskopische Aufnahmefähigkeiten besitzen, um selbst Bedürfnisse für feine Kartierungen, besonders im städtischen Raum, abzudecken und zusätzlich zur Luftfotografie eingesetzt werden zu können. Deutschland, Belgien, Italien, Spanien, Schweden und Österreich haben sich diesem „dualen“ (zivilen und militärischen) Programm angeschlossen.

Italien entwickelt eine Gruppe von vier Radarsatelliten, ebenfalls zu militärisch-zivilen Zwecken. Sie tragen den Namen Cosmo SkyMed und sollen gemeinsam arbeiten. Diese Gruppe (Pléiades und Cosmo SkyMed) bildet das Kernstück des Kooperationsprojekts Musis (Multinational Space based Imaging System for surveillance, reconnaissance and observation), das 2005 von Frankreich initiiert wurde. Zu den Partnern gehören Deutschland, Belgien, Italien, Spanien und Griechenland. Dieses Projekt soll bereits den Weg für die Zeit nach Helios ebnen. Das künftige Erdbeobachtungssystem soll sowohl über optische als auch über Radarinstrumente verfügen.

Um die von den Erdbeobachtungssatelliten gesendeten Daten auch nutzen zu können, hat Europa sein eigenes Expertenzentrum geschaffen. In Torrejon de Ardoz, nicht weit von Madrid (ES) entfernt, wurde 2002 das Satellitenzentrum der Europäischen Union (EUSC) eröffnet. Es handelt sich um eine Organisation, die mit der Produktion und Auswertung von Informationen beauftragt ist, die aus der Analyse von Satellitenaufnahmen von der Erde gewonnen werden.

Das Zentrum unterstützt damit die Entscheidungsfindung der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP). Seine Beiträge betreffen insbesondere Krisenmanagementeinsätze durch die Union, dazu gehören Informationen aus der Analyse von Satellitenbildern und kollateralen Daten, einschließlich Luftaufnahmen und damit verbundenen Dienstleistungen.

Das EUSC wird durch die Beitragszahlungen der Mitgliedstaaten und durch Einnahmen aus geleisteten Diensten finanziert. Die Dienste werden im Rahmen genau definierter Initiativen geleistet. Dazu gehören Rettungs- oder humanitäre Missionen, friedenserhaltende Operationen, die Überprüfung der Einhaltung internationaler Abkommen, Krisenmanagement, die Kontrolle der Nichtverbreitung strategischer Massenvernichtungswaffen oder auch gewisse gerichtliche Untersuchungen.

In Deutschland steuert das Zentrum für Geoinformationswesen der Bundeswehr (ZGeoBw) innerhalb des Geoinformationsdienstes der Bundeswehr dessen fachdienstliche Arbeit und bewertet alle geowissenschaftlichen Faktoren für die Bundeswehr. Seit dem 1. Juli 2017 ist das Zentrum dem Kommando Cyber- und Informationsraum unterstellt.

Neben den Daten der rein militärischen Missionen nutzen Militär und Sicherheitsbehörden auch die Daten ziviler Satelliten. Die US-amerikanischen kommerziellen Systeme IKONOS und Quickbird-2 (im Januar 2015 verglüht) sowie deren Nachfolger GEOEYE-1 und WorldView-1, -2 und -3 werden deshalb hauptsächlich durch Kunden aus dem militärischen Bereich finanziert. Die Daten dieser Satelliten erreichen eine Bodenauflösung von 0,4 m und werden zivilen Nutzern in einer Auflösung von 0,5 m ausgeliefert. Mit den acht Spektralkanälen bei World-View-2 kann auch eine bessere Kartierung von ökologischen und biologischen Vorgängen durchgeführt werden.

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