Lexikon der Fernerkundung

Küsten und Fernerkundung

Bedeutung der Küstenräume
Weltweit leben 20 % der Menschheit weniger als 25 km und 39 % (2,2 Mrd. Menschen) weniger als 100 km von der Küste entfernt. Gleichzeitig machen die 100 km breiten Küstenstreifen nur 20 % der Landfläche weltweit aus. In Dänemark leben 100 %, in Schweden 88 %, in Großbritannien 99 % und in Italien 79 % der Bevölkerung innerhalb der ersten 100 km von der Küste entfernt. In Deutschland beträgt der Anteil hingegen lediglich 15 % (World Resources Institute 2001). 75% der Mega-Städte der Welt sind in Küstenzonen zu finden. Der anteilsmäßige Beitrag der Küstenzone zum Bruttosozialprodukt dürfte deutlich höher sein als der Anteil der in der Küstenzone lebenden Bevölkerung. Die Küstenzone ist damit weltweiter Brennpunkt menschlicher Aktivität.

Küstenzonen besitzen eine große strukturelle Vielfalt (Strände und Dünenlandschaften, Kliffs, Feuchtgebiete, Wattflächen, Korallenriffe, Mangrovenwälder, Eisränder, Ästuare und Lagunen etc.). Sie besitzen außerordentliche Bedeutung als Transformator und Senke für terrestrische Nähr- und Schadstoffe sowie als spezieller Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Als Land/Wasser-Übergangszone besitzen sie zudem eine hohe Artenvielfalt und Produktivität. Wenigstens 250.000 der bekannten 1,7 Mio. Tier- und Pflanzenarten leben im Meer, vor allem in den Küstengewässern.

Die ökonomische Bedeutung der Küstengewässer wird vielfach unterschätzt. Sie liefern große Mengen an Fisch, Schalentiere und Tang als Viehfutter und für die menschliche Ernährung. Sie sind Quelle für Dünger, Pharmazeutika, Kosmetika, Haushaltsprodukte und Baumaterial. Fisch trägt beispielsweise weltweit zu etwa 17 % zur Versorgung des Menschen mit tierischem Eiweiß bei. 90 % des weltweiten Fischfangs stammt dabei aus Küstengewässern (World Resources Institute 2001).

Robert Costanza hat versucht die positive ökologische Wertschöpfung der Küstenökosysteme zu monetarisieren. Monetär bewertet werden z.B. die Beiträge zur Gas- und Klimaregulation, zur Erosions- und Verschmutzungsvermeidung, zur Regelung des Wasserhaushalts, zur Nahrungs- und Rohmaterialproduktion oder zur Wertschöpfung im Bereich Freizeit, Tourismus und Kultur. Die höchste Wertschöpfung erreichen dabei Ästuare, Sumpf- und Überflutungsregionen sowie Wattgebiete mit jeweils über 1 Mio. Euro pro km² und Jahr. (G. Schernewski)

Abgrenzungen
Küstenzonen umfassen sowohl einen wasserseitigen als auch einen landseitigen Streifen. Eine verbindliche Definition des Begriffes 'Küstenzone' fehlt. Die räumliche Breite, speziell landwärts, ist daher sehr unterschiedlich. In der Praxis wird die Küstenzone in Deutschland landwärts meist administrativ, durch die inneren Grenzen der Küstengemeinden oder auch die Raumplanungsregionen definiert. Für globale Analysen werden bisweilen aber auch Flächen bis zu 100 km landwärts als Küstenzone herangezogen.

Die seewärtige Ausdehnung der Küstenzone ist weit weniger umstritten. In der Regel wird eine Ausdehnung bis an die 12 Seemeilen-Grenze bzw. die nationale Hoheitsgrenze zugrunde gelegt. Neben dieser administrativen Definition existieren, vor allem in der Wissenschaft, auch biologische und physikalische Definitionen. (G. Schernewski)

Veränderungen
Die Küstenzonen der Welt unterliegen gravierenden Veränderungen. Zum einen, weil sie durch ihre Standortfaktoren oftmals Gunsträume darstellen und dadurch Prozesse wie Urbanisierung und Industrialisierung besonders dynamisch vonstattengehen. Zum anderen, weil Küstengebiete in besonderem Maße von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind, sei es durch Meeresspiegelanstieg oder ökologische Veränderungen in den sensiblen Küstenzonen. Zurzeit gibt es auf unserem Planeten im Küstenbereich 241 Städte, die mehr als 750.000 Einwohner haben. Die Bevölkerungsdichte in Küstennähe ist etwa 3-mal höher als auf globaler Ebene. Allgemein wird erwartet, dass das komplette globale Bevölkerungswachstum bis 2050 von urbanen Räumen absorbiert werden wird. Der Bevölkerungsdruck auf küstennahe Räume wird sich also zukünftig noch dramatisch verstärken. Die räumlichen Auswirkungen, die mit der stetig voranschreitenden Verstädterung einhergehen, sind aus einer globalen Perspektive heraus weitgehend unbekannt. Der aktuell beste räumliche globale Datensatz zu urbanen Räumen beruht auf Erdbeobachtungsdaten mit einer Auflösung von 309 Metern. Aber auch auf lokaler Maßstabsebene stehen für hochdynamische Städte in Entwicklungs- oder Schwellenländern oft nur generalisierte, veraltete, unzuverlässige oder gar keine Geodaten oder -produkte zur Verfügung. (Taubenböck & Esch 2013)

Aufgrund des wachsenden sozio-ökonomischen Drucks in Küstenzonen, nimmt auch der Stress zu, dem die Küstenökosysteme ausgesetzt sind. Vor diesem Hintergrund sind aktuelle Informationen und Wissen über den Status unserer Umwelt und deren Veränderungen essentiell für ein nachhaltiges Management der Küstenzonen und deren Funktionen, sowie für die Beurteilung von sozio-ökologischen Folgen zukünftiger Entwicklungen im Kontext des globalen Wandels. Die Fernerkundung eröffnet in diesem Zusammenhang vielversprechende Möglichkeiten. Mittels unterschiedlicher Satelliten- und Sensorsysteme können über physische und politische Grenzen hinweg die komplexen räumlichen und zeitlichen Muster anthropogener sowie natürlicher Veränderungen unserer Umwelt kontinuierlich und räumlich konsistent dokumentiert werden. (Leinenkugel et al. 2016)

Sylt multitemporal Sylt - multitemporal

Für die Erstellung dieser Aufnahme wurden drei Bilder von TerraSAR-X übereinander gelegt. Die einzelnen Datensätze wurden am 22., 24. und 27. Oktober 2007 aufgenommen. Alle Gebiete, in denen zwischen den Aufnahmezeitpunkten Veränderungen stattfanden erscheinen in Blau und Grün - insbesondere die durch die Gezeiten beeinflussten Gebiete des Wattenmeeres. Hier verändert sich durch den Wechsel zwischen Ebbe und Flut der Wasserstand von Aufnahme zu Aufnahme.

Die Landflächen erscheinen auf Grund der relativ geringen Veränderungen innerhalb der fünf Tage in Grau- und Brauntönen.

Quelle: DLR

Fernerkundung
Fernerkundungsdaten helfen beispielsweise, die Entstehung und Verteilung von Algenblüten besser zu verstehen und Veränderungen durch den Menschen, wie den Klimawandel oder durch seine Nutzung der Küsten zu erkennen.

Dazu werden die Küsten großflächig mit Satelliten erfasst. Flugzeuge, Luftschiff und Forschungsschiffe werden für hochauflösende Detailaufnahmen eingesetzt. Dabei werden die Inhaltsstoffe des Meerwassers, wie Algen oder Schwebstoffe, mit selbstentwickelten Verfahren anhand der Farbe des Ozeans bestimmt. Diese Auswerteverfahren sind insbesondere auch bei der europäischen Raumfahrtagentur ESA im Einsatz.

Die Bestimmung der optischen und biogeochemischen Eigenschaften des Meerwassers erfordert sehr präzise und aufwendige Messungen der Lichtabsorption oder Lichtstreuung im Meerwasser. Sie werden für verschiedene „Wassertypen“ aus der Luft, im Meer selbst und im Labor durchgeführt.

Die gemessenen Daten werden in optische Modelle und Messmethoden integriert, um die Fernerkundungsdaten mit den analysierten Meerwasser-Proben vergleichen zu können. Erst durch diesen aufwendigen Prozess können die gewünschten Messgrößen aus den Fernerkundungsdaten selbst bestimmt werden. Dazu zählen die Konzentrationen grüner, roter oder brauner Mikroalgen im Meerwasser, die Verteilung von Gelbstoffen und Schwebstoffen, aber auch die Streuung und Absorption des Sonnenlichts im Wasser und die Durchsichtigkeit des Meerwassers.

Zusätzlich werden physikalische Größen wie Strömungen und Wirbel erfasst. Sie haben einen erheblichen Einfluss auf die Verteilung von Mikroplankton und damit auf die Nahrungskette im Meer. Wie sich natürliche oder durch den Menschen verursachte Veränderungen auf die Küste und Meere auswirken, wird durch die vergleichende Analyse von Satellitendaten aus mehreren Jahrzehnten ermöglicht. (HZG)

Der Meeresspiegel ist ein sehr empfindlich auf den Klimawandel reagierender Indikator, indem er Änderungen von Komponenten des Klimasystems widerspiegelt, wie z. B. Wärmehaushalt, Gletscher, Abschmelzen von Eiskappen. Die präzise Überwachung von Veränderungen des mittleren Meeresspiegels ist zusätzlich von grundlegender Bedeutung für die sozialen und ökonomischen Konsequenzen des Meerespiegelanstiegs, besonders in Küstenregionen.

Neue Radaraltimeter, wie die auf CryoSat und auf Sentinel-3 sind für diese Aufgabe besser geeignet als die klassischen Altimeter auf ENVISAT oder Jason-3. Sie sind genauer und können den Meeresspiegel deutlich näher an der Küste vermessen, was gerade für Länder mit sehr zerklüfteten Küstenlinien wie z. B. Norwegen sehr wichtig ist.

Beim DLR erfasst und analysiert die Arbeitsgruppe „Küsten und Flusseinzugsgebiete“ sowohl natürliche als auch anthropogen verursachte Prozesse und deren Aus- und Wechselwirkungen in Küsten und Flusseinzugsgebieten durch den Einsatz von fernerkundlichen Verfahren. Satellitendaten  unterschiedlicher Sensoren und Auflösungen werden durch moderne Ansätze der maschinellen Bildanalyse ausgewertet und zu höherwertigen Geoinformationsprodukten verarbeitet. Die abgeleiteten Informationen bilden die Basis für neue geowissenschaftliche Erkenntnisse und zur Beantwortung von grundlegenden Herausforderungen in Küsten und Flusseinzugsgebieten im Kontext des Globalen Wandels.

Die Anwendungsschwerpunkte des DLR-Teams „Küsten und Flusseinzugsgebiete“ liegen auf:

1. Sozio-ökonomischer Wandel in Küstenzonen und Flusseinzugsgebieten

2. Vulnerabilität, Adaption und Resilienz

3. Interaktionen zwischen Land und Gewässern

Anwendungen basieren auf Erdbeobachtungsdaten unterschiedlichster Sensoren (optisch/ multispektral, thermal, SAR) und räumlichen/zeitlichen Auflösungen. Methodische Schwerpunkte liegen vor allem auf:

Weitere Informationen:


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