Lexikon der Fernerkundung

Geschichte der Fernerkundung (FE)

Aufzeichnende Erkundung von Objekten aus der Ferne, ohne mit ihnen direkten Kontakt zu haben, besitzt eine lange Tradition und ist mit unterschiedlichen Motiven verbunden. Das interessierende Objekt (Erdoberfläche, Atmosphäre, Weltraum) ist dabei möglicherweise nicht erreichbar oder der Beobachter will unbemerkt bleiben und hält Distanz. Die Qualität von Fernerkundungsergebnissen war und ist stark abhängig vom jeweiligen Stand der Technik. Bezieht man ihre Vorformen mit ein, so reichen die Technologien der Fernerkundung von der Schaffung erhabener Beobachtungspunkte (Wachtürme) und dem Gebrauch einfacher Ferngläser bis zu hochkomplexen Satellitensystemen.

Die Technologie der modernen Fernerkundung begann vor über 180 Jahren mit der Erfindung der Photographie (Joseph Nicéphore Nièpce). Auch wenn die ersten, noch recht einfachen Photos vom Boden aus aufgenommen wurden, machte man bereits in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts Aufnahmen zu Kartierungszwecken von Fesselballons aus. G. Tournachon (alias NADAR) gelangen 1858 erste spektakuläre photographische Bilder aus dem Ballon über Paris.

Revolutionär war die berühmte bayerische Taubenflotte gegen Ende des Jahrhunderts. Erst mit Beginn der Luftfahrt im ausgehenden 19. Jahrhundert, welche unabhängig aber etwa zeitgleich zur Entwicklung der Photographie erfolgte, fand die moderne analoge Geofernerkundungsmethodik ihren Ursprung. Hierbei handelte es sich meist um Einzelaufnahmen, die in keinem systematischen Schema untergebracht waren und nur wenig wissenschaftlich ausgewertet wurden.

Im ersten Weltkrieg leisteten auf Flugzeugen montierte Kameras unschätzbare Dienste für die militärische Aufklärung. Die kontinuierliche photographische Reihenaufnahme aus der Luft von strategisch wichtigen Geländabschnitten von allen Kriegsparteien vorangetrieben. Nach Kriegsende flossen die gesammelten Erfahrungen in das auflebende zivile Luftbildwesen ein, welches ab ca. 1920 für forstliche, archäologisches und allgemeine geographische Zwecke konzipiert wurde (z.B. Landesaufnahmen, Expeditionen, Erkundung, Kartographie der Kolonien, etc.). Der wissenschaftliche Nutzen der Luftbildtechnik wurde erstmals systematisch durch Troll (1939) in Deutschland untersucht.

Während des 2. Weltkrieges dominierten erneut militärischen Fragestellungen das Luftbildwesen. Wichtige taktische Operationen konnten ohne Aufklärungsflüge und dem Einsatz von Reihenmesskameras nicht mehr vorbereitet oder nachträglich auf Erfolg überprüft werden. Es wurde so erstmals die Herstellung von Luftbildplanwerken umgesetzt, die eine systematische Fernerkundung ermöglichten und noch heute in Form von Befliegungsplänen realisiert werden. Zugleich wurden erste Routineeinsätze mit Farbfilmen für die Luftbildaufnahme durchgeführt, wobei z.T. bereits Infrarot-Filme erprobt wurden. Vor der Landung der Alliierten in der Normandie wurden z.B. Luftaufnahmen von der Küste gemacht, um geeignete Landepositionen ausfindig zu machen. Durch die Messung küstennaher Wellen konnte die Wellenlänge bestimmt und davon ausgehend die Wassertiefe berechnet werden. Es wurde Infrarotfilm eingesetzt, um grüne Vegetation zu erkennen und von Tarnnetzen zu unterscheiden.

Satellitenbasierte Fernerkundung kann auf die Frühzeit des Weltraumzeitalters mit russischen und amerikanischen Programmen zurückgeführt werden. Beispielsweise wurden 1946 ehemals deutsche V2-Raketen von White Sands (New Mexico) in große Höhe abgefeuert. Diese Raketen trugen automatische Still- oder Fimkameras, die während des Aufstiegs Aufnahmen machten. Sie erreichten aber nie eine Umlaufbahn.

Nach dem Ende des Krieges trieben vor allem US-amerikanische Institutionen die zivile Fernerkundung technisch voran, so daß die Luftbildinterpretation zur ersten eigenständigen Disziplin der Geofernerkundung wurde. Colwell forcierte besonders die Verwendung von Farbinfrarotfilmen für die vegetationskundliche Forschung. Der Einsatz derartig neuer Techniken erwies sich auch für die anderen Geodisziplinen vorteilhaft (Bodenkunde, Geologie, Geomorphologie, Kartographie etc.). Mit fortschreitender technischer Entwicklung fanden in den sechziger Jahren neue Abtast-Systeme (engl.: scanner) oder Radar-Systeme (z.B. SAR) zunehmend in der Geofernerkundung Anwendung. Etwa 10 Jahre später wurden experimentell Computer zur einfachen Bildanalyse eingesetzt. Das analoge Bild mußte somit erstmalig digitalisiert werden. Die traditionelle analoge Luftbildinterpretation war somit nur noch eine Teildisziplin der zunehmend digitaler werdenden Geofernerkundungsmethodik. Heute werden ein Grossteil der Standard-Luftaufnahmen bereits durch digitale Reihenmesskameras gewonnen.

Ebenfalls Anfang der 60er Jahre des vorigen Jh. begann nach einigen Dekaden der Luftbildnutzung die Ära der satellitenbildgestützten Fernerkundung mit den vor allem die Meteorologen interessierenden täglichen Bildern amerikanischer Wettersatelliten. Zur gleichen Zeit machten Kosmonauten und Astronauten bei ihren Erdumrundungen Aufnahmen aus ihren Raumkapseln. Für nicht an wetterkundlichen Informationen interessierte begann diese Ära - und damit auch bald die allgemeine Verwendung der Begriffe "Remote Sensing" bzw. "Fernerkundung" - 1972 mit dem ersten für zivile Zwecke der Erfassung von Landoberflächen gestarteten ERTS-1 (syn. Landsat-1). Seitdem folgten eine Vielzahl unterschiedlichster Spezialsatelliten, welche z.T. auch in technischen Generationsabfolgen geplant wurden (z.B. LANDSAT-1 bis 7, oder ERS-1 bis 2, SPOT-1 bis SPOT-5, ASTER, IRS-1 bis 3, Quickbird, RapidEye etc.).

Mit dem Einsatz von Satelliten wurde parallel auch die Kommunikationstechnik revolutioniert, welche es erlaubt, die vom Erderkundungssatelliten gewonnen Daten rasch nahezu überall auszuwerten. Heute werden fast monatlich neue Satelliten in ihre Umlaufbahnen gebracht, von denen man sich Aufschlüsse über komplexe Umweltpobleme erhofft - in einer Zeit der zunehmenden Globalisierung von Umweltproblemen wird dieser Ansatz immer wichtiger.

Aber ohne Zweifel spielte schon sehr früh der militärische Einsatz von Fernerkundungsdaten eine wichtige Rolle bei der technologischen Entwicklung. Die Beobachtung und Einschätzung gegnerischer Streitkräfte, die Überwachung eigener, im Ausland stationierter Truppen, die Kontrolle von Abrüstungsvereinbarungen beeinflussten taktisch-strategische, wie auch politische Entscheidungen.

Auf eine Phase euphorischer Überschätzung der Möglichkeiten der damaligen FE folgte zunächst eine Ernüchterung angesichts der tatsächlich noch vorhandenen Nutzungsprobleme. Bald folgte jedoch eine sich steigernde Weiterentwicklung von Auswertungstechniken, vor allem durch die auch weiterhin nicht abgeschlossene Verbesserung und Vielfalt der Sensoren, einschließlich des Radars. Hinzu traten die Verknüpfungsmöglichkeiten verschiedener FE-Daten untereinander und mit anderen Daten in geographischen Informationssystemen sowie die Schaffung abgeleiteter Produkte. Gleichzeitig erfolgte der Übergang von experimenteller zu operationeller und damit wirtschaftlicher Datennutzung. Aktuell sind zwei Trends auszumachen, die einen zunehmend vielseitigen Einsatz erlauben:

Fernerkundung - Marksteine ihrer Entwicklung
Prähistorie frühe Hominiden nutzen freistehende Bäume in den Savannen Afrikas oder Hügel, um den Horizont nach Beute oder drohenden Gefahren abzusuchen
weitere Geschichte Einsatz von Wacht- und Aussichtstürmen, Ferngläsern, Teleskopen, für astronomische Beobachtungen auch von Orientierungshilfen
1800 Entdeckung des Infrarot durch William Herschel
1826/1839 erste Photographie (Heliographie von Joseph Nicéphore Nièpce); 1839 verbessertes Verfahren von Louis Daguerre (Daguerrotypie)
1858 - 1918 Der Anfang: Photographie und Luftfahrt
1858 erste photographische Bilder aus Fesselballon in 80 m Höhe über Paris von Gaspar F. Tournachon, alias Nadar; Beginn der modernen Fernerkundung; älteste erhaltene Luftaufnahme von Boston (J.W. Black, 1860)
1860 Jules Verne schreibt über Lunanauts, die Wolkensysteme beobachten
1860er Luftbilder aus Drachen, Ballons; ballongestützte Luftaufklärung im amerikanischen Bürgerkrieg
1887 dt. Förster kartieren Baumarten mithilfe von Luftaufnahmen aus Ballons (frühes Bspl. für photographische Interpretation)
spätes 19. Jh. Ballon-basierte Messung von Druck-, Temperatur- und Feuchteprofilen in der unteren Atmosphäre (Entdeckung der Tropopause)
um 1900 Beginnende Entwicklung der Radartechnik
1903 Entwicklung einer von Brieftauben getragenen Kleinkamera (Julius Neubronner; Bayerisches Brieftauben-Corps)
1906 Luftaufnahme von Bord einer luftdruckbetriebenen Rakete aus einer Höhe von knapp 900m; die Kamera wurde in der Höhe ausgestoßen und landete per Fallschirm; Konstrukteur Albert Maul.
1906 Luftbilder von den Bränden und Erdbebenzerstörungen in San Francisco aus 600 m Höhe; dazu befanden sich schwere Kameras an Bord von Ballondrachen, Konstrukteur: G.R. Lawrence
1909 erste photographische (Schräg)Bilder aus einem Flugzeug in Centrocelli, Italien (Wilbur Wright)
1914 - 1918 Systematische Reihenaufnahmen, militärische Luftaufnahmen; spezielle Kameras für Luftaufnahmen
1918 - 1939 Rasche Entwicklungen in der Photogrammetrie
1919 erstes (thermales) Infrarotbild aus einem Flugzeug (Hoffman)
1920er experimentelle, anwendungsorientierte Anwendung von Luftbildphotographie und Photogrammetrie (forstlich, geographisch, archäologisch), erste großräumige Luftbilderkundungen (Indonesien, Antarktis, Grönland)
1930er Entwicklung des Radar (D, UK, USA)
1939 - 1945 militärische Luftbildauswertung, Luftbildplanwerke, Farbfilmeinsatz, Testeinsatz SIR, CIR-Film (Aufdeckung von Tarnung), Einsatz von Flugzeugen
1945 Science Fiction-Autor Arthur C. Clarke schlägt drei Satelliten im geostationären Orbit für globale Kommunikation vor (Wireless World, Oktober 1945)
1946 - 1971 kalter Krieg und Umweltprobleme
1946 erste Aufnahmen von Bord einer früheren V2-Rakete in White Sands (New Mexico)
1950er Begriff "remote sensing " zuerst in den USA benutzt (Ms. Evelyn Pruitt, Geographin am U.S. Office of Naval Research)
1954 Westinghouse entwickelt das erste luftgetragene Seitensicht-Radar
1954 Erstflug des Spionageflugzeugs U-2
1957 Geräte zur Temperaturmessung an Bord des russischen Sputnik I
1958 Start des nur 14 kg schweren Explorer-1, mit dem die strahlungsintensiven Zonen Van-Allen-Gürtel entdeckt werden. Gründung der NASA am 29. Juli 1958.
1959 erstes photographisches Satellitenbild (amerikanische Explorer-6-Mission)
1960 erste Satellitenbilder für meteorologische Zwecke (amerikanischer Satellit TIROS-1, die Serie wird bis TIROS-10 im Jahre 1965 weitergeführt);
erste Spionagesatellitenbilder im Rahmen des Projektes 'Corona'
ab 1962 Fernerkundungsmissionen zu anderen Planeten
ab 1965 photographische Aufnahmen aus den amerikanischen Gemini- und Apollo-Raumkapseln
1966 3 operationelle meteorologische Satellitensysteme
- ESSA (Environmental Science Service Administration, polarumlaufend, sonnensynchron)
- DMSP (Defense Meteorologigal Satellite Program, polarumlaufend, sonnensynchron)
- ATS (Application Technology Satellite, geostationär)
1968 erster Satellit mit passiven Mikrowellensensoren: der russische Kosmos 243
1972 - 1986 ein neues Zeitalter bricht an
1972 erstes digitales Satellitenbild der Erderkundung (Scanner an Bord des amerikanischen ERTS-1, syn. Landsat-1)
1977 Erster METEOSAT-Satellit im geostationären Orbit
1981 erster Space Shuttle-Flug
1986 - 1999 Kommerzialisierung, Positionsbestimmung, Integration von Daten (GIS)
ab 1986 stereophotogrammetrisch auswertbare Bilddaten mit dem französischen Satellitensystem SPOT
ab 1990 Raumstationen zur operationellen Fernerkundung
1991 Start des europäischen ERS-1, erster Satellit dessen Altimeter die Erde mit einer Genauigkeit von 5 cm vermessen konnte
1995 Start von OrbView-1, dem ersten kommerziellen Satelliten zur Erstellung von Satellitenbildern
1997 TRMM (Tropical Rainfall Measurement Mission): erstes Regenradar auf einem Satelliten
2000 - Zukunft kein Platz mehr zum Verstecken
2002 Start von ENVISAT - dem grössten europäischen Umweltsatelliten
2002 erster Satellit der METEOSAT Second Generation (MSG) wird gestartet.
2006 erster europäischer Wettersatellit auf polarer Umlaufbahn (MetOp) wird gestartet
2008 Start von GeoEye-1, dem kommerziellen Erdbeobachtungssatelliten mit der bislang besten Auflösung
2010 Start von TanDEM-X zur Zwillingsmission mit dem älteren TerraSAR-X zur Erfassung von Daten für ein globales 3D-Höhenmodell
2013 Start von GAIA, der astronomischen Weltraumsonde der ESA zur Vermessung der Milchstraße
2013 Start von SWARM, der aus drei identischen Satelliten bestehenden Mission zur Beobachtung der Erdmagnetfeldes
2014 Start von Sentinel 1A, bildgebender Radarsatellit als erste Mission einer Reihe von europäischen Missionen zur globalen Umweltbeobachtung und Sicherheit innerhalb des Copernicus-Programms
2014 - Zukunft Zeitalter von Drohnen und LiDAR

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