Lexikon der Fernerkundung

Archäologie und Fernerkundung

Fernerkundungstechnologien nehmen im Gesamtinstrumentarium archäologischer Untersuchungsmethoden einen zunehmend größeren Raum ein. Sie liefern den Archäologen Daten, die mit herkömmlichen Ausgrabungstechniken nicht erhältlich wären. Die Datengewinnung stützt sich vor allem auf bildgebende Instrumente, die in Flugzeugen, Hubschraubern, Luftschiffen, Fesseldrachen, Ballonen, Drohnen, an Teleskopmasten und in Satelliten zum Einsatz kommen.

Historische Städte, Befestigungsanlagen oder alte Kultstätten erscheinen während einer Überfliegung in völlig neuartiger Perspektive. Dies fiel Piloten bereits in den frühen Phasen der Fliegerei auf. Während des Ersten Weltkrieges wurden durch Piloten einer deutschen Fliegerstaffel alte Stadtanlagen in Syrien, Palästina und Westarabien fotografiert. In diesen Luftbildern waren sogar bis dahin unbekannte Grabanlagen, ehemalige Römerstraßen oder ganze Siedlungsgrundrisse zu erkennen. Stonehenge war die erste archäologische Fundstätte in England, die aus der Luft fotografiert wurde. Die Fotos wurden 1906 aus einem Fesselballon von Lieutenant Philip Henry Sharpe aufgenommen, Mitglied der Royal Engineers’ Balloon Section. Noch früher, im Jahre 1899, wurden Luftaufnahmen von Ausgrabungen im Forum Romanum angefertigt. Und als erster Einsatz von Luftbildern für archäologische Zwecke überhaupt, gelten die Aufnahmen des deutschen Franz Stolze, der 1879 - vermutlich aus einem Heißluftballon - die Ausgrabungen von Persepolis dokumentierte.

sharpe_stonehenge_1906 Sharpe's Aerial View of Stonehenge, Wiltshire (1906)

Vertikale Ansicht von Stonehenge, aufgenommen von einem Militärbeobachtungsballon der Royal Engineers durch den 2. Lt. Ph. H. Sharpe, wahrscheinlich im Juni oder Juli 1906, und zeigt Stonehenge 5 Jahre nachdem es eingezäunt wurde. Der Norden ist in Richtung des oberen Randes des Bildes. Der Stacheldrahtzaun verläuft entlang der östlichen Seite des Weges, der die westliche Seite der Einfriedung durchquert. Es wurde 1901 akzeptiert, dass dieser Weg im Gegensatz zu den anderen hier sichtbaren Wegen ein öffentliches Wegerecht war. Besonders interessant an diesem historischen Foto sind die Holzverstrebungen, die viele der stehenden Steine tragen.

Nachdem die Fotos 1907 in der Zeitschrift der Society of Antiquaries veröffentlicht wurden, erkannten die Archäologen allmählich den Wert der Luftbildfotografie als eine Schlüsseltechnik zur Entdeckung, Aufzeichnung und Interpretation von Spuren der Vergangenheit.

Quelle: Sarson.org / English Heritage
forum_romanum_1899 Fesselballon im Forum Romanum (1899)

Der Fesselballon der Brigata Specialisti der Militäringenieure der italienischen Armee im Mittelschiff der Basilika von Maxentius.

Im Jahr 1898 wurde der berühmte venezianische Architekt Giacomo Boni mit der Leitung neuer Ausgrabungen auf dem Forum Romanum (1899-1911) und auf dem Palatinhügel beauftragt. Um Luftaufnahmen zu erhalten, zog Boni den Militärballon der Brigata Specialisti des italienischen Militärs heran, der vom italienischen Ingenieurkorps eingesetzt wurde. Er war erstaunt über die Möglichkeit, die Stätte anhand von Bildern, die 400 m über dem Boden aufgenommen wurden, genauer zu zeichnen und zu kartieren, und unternahm tatsächlich mehrere Fahrten mit dem Ballon, bevor er seinen Freunden begeisterte Briefe über das Abenteuer schrieb.

Quelle: Aerial Photography in Archaeology

Die Ursache für die plötzliche Sichtbarkeit von Objekten beim Einsatz von Methoden der Luftbildarchäologie liegt zum einen in der Vogelperspektive, die einen Überblick über die Grundrissformen und Zusammenhänge bietet, welche von der Erdoberfläche aus nicht zu erkennen sind, zum anderen werden an der Oberfläche sonst nicht mehr sichtbare archäologische Objekte unter bestimmten Bedingungen wahrnehmbar. Beispielsweise verraten bei der Betrachtung von oben und bei sehr niedrigem Sonnenstand schon kleine Unebenheiten im Gelände aufgrund ihres Schattenwurfs den Verlauf von Gräben, Wällen oder anderen charakteristischen Merkmalen. Dadurch können teilweise ehemalige Siedlungen, alte Flureinteilungen oder auch Grenzanlagen, wie der römische Limes, sichtbar werden. Aber auch unterschiedlich starke Bewuchsmerkmale auf Feldern oder Wiesen verdeutlichen die Spuren archäologischer Objekte. Diese Bewuchsmerkmale zeigen, dass sich der Wurzelraum der Pflanzen an diesen Stellen von der unbeeinflussten Umgebung unterscheidet. Es kann sich dabei um positive Merkmale (alte Gräben, die zu besserem Bewuchs infolge besserer Bewässerung führen) oder aber auch um negative Merkmale (Mauerreste, die den Wurzelraum einengen und die Pflanzen so in ihrer Entwicklung hemmen) handeln.

Ein aufkommender Zweig der prospektierenden Archäologie ist die Satellitenarchäologie, bei der hochauflösende Satellitensensoren zum Einsatz kommen, die über ihre Empfindlichkeit im thermischen und infraroten Bereich des elektromagnetischen Spektrums potentielle Fundstellen bis zu einer Tiefe von ca. 1 Meter anzeigen können. Die von den Satelliten empfangene Strahlung wird in Bilder umgesetzt und diese werden von Archäologen nach feinen Anomalien untersucht, die sich an der Erdoberfläche zeigen können.

Fernerkundung ist in der Archäologie eine nicht-invasive Methode zur Kartierung und Überwachung von potentiellen archäologischen Fundstätten in einer sich permanent wandelnden Welt. Probleme wie Verstädterung, Raubgrabungen und Grundwasserverschmutzungen können für solche Fundstätten eine Gefahr darstellen. Satelliten- und Luftbilder sind vor allem Werkzeuge für großräumige Erkundungen und gezielte Ausgrabungen. Alle archäologischen Projekte benötigen aber letztlich die Arbeit vor Ort, um sich Klarheit über potentielle Funde zu verschaffen.

Bodenbasierte geophysikalische Methoden wie Boden- bzw. Georadar, Magnetometrie und Widerstandsprospektion werden ebenfalls zur Bilddarstellung in der archäologischen Forschung eingesetzt. Gelegentlich werden auch sie als fernerkundliche Verfahren eingestuft.

Ein weiteres Hilfsmittel, mit dem Informationen aus fernerkundlichen oder geophysikalischer Methoden weiterverarbeitet werden können, sind Geographische Informationssysteme (GIS). Beispielsweise können dabei Luftbilder von archäologischen Fundstellen zunächst entzerrt und im GIS umgezeichnet werden. Die Layerstruktur des GIS ermöglicht es, die entzerrten Bilder und die Umzeichnungen getrennt voneinander abzulegen und je nach Aufgabenstellung ein- und auszublenden. Zusätzlich können weitere Informationsebenen, wie die Bodenbeschaffenheit zugeschaltet oder topographische Karten unterschiedlicher Maßstäbe unterlegt werden. Die Ergebnisse der Kartierungen und Abfragen bieten den Ausgangspunkt für die archäologische Interpretation.

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