Lexikon der Fernerkundung

Gebirge und Fernerkundung

Gebirge stellen Ressourcen-, Lebens- und Erholungsräume dar. Sie erbringen Dienstleistungen für die menschliche Bevölkerung sowohl innerhalb ihrer Grenzen, als auch in ihrem Vorland, darunter Wasser, Wasserkraft und Holz sowie Orte für Freizeit- und tourismusbezogene Aktivitäten.

Gebirge reagieren sensibel auf äußere Einflüsse wie die Intensivierung der Landnutzung oder andere Umwelteinflüsse. Gravitative Massenbewegungen, wie Felsstürze, Steinschläge, Rutschungen und Muren sind natürlich auftretende Prozesse in alpinen Räumen, insbesondere in den tief eingeschnittenen Tälern. Durch den steigenden Bedarf an Siedlungsraum und die Veränderung durch den Klimawandel besonders im Hochgebirge, stellen diese Prozesse zunehmend eine Bedrohung für Mensch und Infrastruktur z. B. in den Alpen dar.

Infolge der anhaltenden allgemeinen Klimaerwärmung verändern sich viele der Komponenten des Umweltsystems, aus denen sich diese Güter und Dienstleistungen ableiten, rasch, oft mit nachteiligen Folgen. Einige dieser Veränderungen, wie der weit verbreitete Rückzug der Gebirgsgletscher und der Rückgang der saisonalen Schneehöhe, -ausdehnung und -dauer, sind tiefgreifend und deutlich sichtbar. Andere - zum Beispiel die Reaktionen der Vegetation, des Permafrosts und der Artenvielfalt - verlaufen etwas langsamer und subtiler, sind aber dennoch erkennbar.

Die Nähe von steilem Gelände zu Seen, Eis und Schnee in alpinen Regionen kann dazu führen, dass sich entfernte Hangrutschungen oder Gletscherinstabilitäten schnell zu katastrophalen Gefahrenkaskaden entwickeln. Die negativen Auswirkungen solcher Ereignisse können gemildert werden, wenn Hang- oder Gletscherinstabilitäten sowie veränderte Gefahrenbedingungen frühzeitig erkannt und genau überwacht werden.

Unter diesen Umständen sind Behörden und andere Interessengruppen mit Entscheidungsverantwortung auf die wissenschaftliche Forschung angewiesen, um robuste Vorhersagemodelle zu entwickeln, die den Entwurf und die Umsetzung geeigneter, zukunftsorientierter Strategien zur Abschwächung, Anpassung, Intervention und zum Umweltmanagement unterstützen können. Die Entwicklung solcher Modelle erfordert ein solides konzeptionelles Verständnis und damit die Verfügbarkeit von ausreichend umfangreichen, informativen und repräsentativen Umweltdaten. In Gebirgsregionen stößt man bei der Suche nach den erforderlichen Daten jedoch in der Regel auf zahlreiche Herausforderungen, insbesondere auf den schwierigen Zugang, die rauen Bedingungen und die beträchtliche Vielfalt sowie die hohe räumlich-zeitliche Variabilität der Phänomene. Darüber hinaus sind viele wichtige Systemkomponenten über eine Reihe komplexer Prozessinteraktionen und Rückkopplungsmechanismen eng miteinander verbunden. Häufig sind daher stark inter- bis transdisziplinäre Perspektiven erforderlich.

Besondere Eignung hochalpiner Räume für die Gewinnung von Oberflächeninformation mittels Fernerkundung:

Obwohl in letzter Zeit bedeutende Fortschritte in der Fernerkundungstechnologie gemacht wurden, sind sie kein Allheilmittel in gebirgigem Gelände. In-situ-Beobachtungen spielen in vielerlei Hinsicht nach wie vor eine entscheidende Rolle.

Inzwischen hat die Satellitenfernerkundung die Verfügbarkeit von Daten zu bestimmten Umweltvariablen erheblich verbessert. So können beispielsweise Schneehöhen und Vegetationsbedeckung routinemäßig mit mittlerer bis hoher räumlicher Auflösung aus freien und offenen Daten abgerufen werden, die von Organisationen und Diensten wie der NASA und Copernicus bereitgestellt werden. Dieser rasche Fortschritt bei den Fernbeobachtungstechnologien und Abrufmethoden ist ein starkes Argument für die Notwendigkeit, sich rasch auf gemeinsame Standards zu einigen und so in Zukunft konsistentere und interoperable Datenprodukte zu erzeugen. Bei Variablen, die sowohl aus der Ferne als auch an Ort und Stelle gemessen werden können, ergänzen sich diese Datenquellen aufgrund ihrer unterschiedlichen Eigenschaften, insbesondere im Hinblick auf die räumliche und zeitliche Abdeckung, häufig in hohem Maße.

Für mehrere andere Variablen, die in Gebirgen von Bedeutung sind, ist es jedoch nach wie vor nicht möglich, über die Fernerkundung überhaupt Daten oder aber Daten mit der erforderlichen räumlichen und zeitlichen Auflösung, Abdeckung und/oder Genauigkeit zu erhalten, so dass sie für Anwendungen in Gebirgen von Nutzen sein könnten. Dies gilt insbesondere für die weltraumgestützte FE.

Obwohl einige wichtige Gebirgsvariablen heute offensichtlich durch Fernerkundung ermittelt werden können - die Fernerkundung bietet hervorragende Möglichkeiten zur Ableitung von Variablen, die sich auf die Landoberfläche und die Energiebilanz beziehen und oft als "Bindeglieder" zwischen den Disziplinen fungieren -, ist es ebenso wahr, dass viele Variablen praktisch nach wie vor nur in situ gemessen werden können. Bestimmte andere Variablen, wie z. B. räumlich integrierte Flüsse und Speicher, die den Untergrund der Hydrosphäre betreffen, können nur aus Modellsimulationen abgeleitet werden.

Der verstärkte Einsatz von UAVs wird viele Beobachtungslücken, die durch Unzugänglichkeit bei terrestrischer Beobachtung, sowie durch räumliche und zeitliche Auflösungslücken bei (weltraumbasierte) Fernerkundungsverfahren noch bestehen, reduzieren.

Die Hauptkomponenten von Gebirgsumweltsystemen und die damit verbundenen Veränderungsprozesse, die in vielen Gebirgsregionen der Welt entweder bereits im Gange sind oder für die Zukunft erwartet werden

Hauptkomponenten von Gebirgsumweltsystemen und Veränderungsprozesse

Gebirgsumweltsysteme sind in der Regel durch eine zerklüftete Topographie und oft komplexe geologische Strukturen verfestigter und unverfestigter Art gekennzeichnet. Da sie in hohem Maße miteinander verbunden sind, werden sich Veränderungen einzelner Komponenten und Prozesse wahrscheinlich weit ausbreiten und möglicherweise entweder positive (d. h. verstärkende) oder negative (d. h. begrenzende) Rückkopplungsmechanismen auslösen.

(1) Zunehmende Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre;
(2) Veränderungen des Strahlungsantriebs, der Lufttemperatur und des Niederschlags (einschließlich der Niederschlagsintensität und gegebenenfalls des Verhältnisses von Regen und Schnee);
(3) zunehmend negative Gletschermassenbilanz oder Gletscherrückgang (veränderte Albedo und Wasserspeicherung);
(4) veränderte Schneedynamik (veränderte Albedo und Wasserspeicherung, möglicherweise auch Auswirkungen auf die Vegetation);
(5) steigende Baumgrenzen (veränderte Albedo);
(6) erhöhter Artenreichtum oder Biomasse in Gipfelregionen;
(7) sich ändernde Evapotranspiration und Sublimationsdynamik;
(8) Auftauen von Permafrost und Blockgletschern;
(9) sich ändernde Strömungsdynamik (einschließlich der Beiträge von Quellkomponenten);
(10) beschleunigter Nährstoffkreislauf zwischen Atmosphäre, Boden und Vegetation;
(11) Änderungen der Gletscherschuttbedeckung (Änderung der Albedo);
(12) Veränderungen des atmosphärischen Transports und der Ablagerung von Staub, Aerosolen und Ruß;
(13) Veränderungen der Wassertemperaturen und der Ökologie von Seen;
(14) Veränderungen der hydrologischen Verteilung an der Landoberfläche und des Austauschs zwischen Oberflächen- und Grundwasser im Allgemeinen;
(15) Veränderung der Grundwasseranreicherung, -speicherung, -strömung und -abflussdynamik in Grundwasserleitern und nicht konsolidierten Grundwasserleitern (z. B.,
(16) veränderte Umverteilung von Schnee durch Wind;
(17) veränderte Lawinengefahr;
(18) veränderte Hochwassergefahr (pluviale, fluviale und Gletscherseeausbrüche);
(19) zunehmende Häufigkeit und Schwere von Dürren;
(20) veränderte Erosion, Sedimenttransport und Ablagerungsdynamik sowie Murganggefahr;
(21) zunehmende Hanginstabilität und Steinschlaggefahr;
(22) potenzielle Freisetzung von Kohlenstoff aus gefrorenen Gebirgsböden;
(23) Änderung des atmosphärischen Dampfdrucks;
(24) Änderung der Fließgeschwindigkeit von Gletschern;
(25) zunehmender Transport von anthropogenen Ozonvorläufern und anschließende erhöhte Auswirkungen auf die Biosphäre;
(26) Änderung der oberflächennahen Lufttemperaturgradienten und der orographischen Niederschlagsgradienten;
(27) sich ändernde synoptische Wettermuster; und
(28) Änderungen der Wolkenbedeckung und des Wolkenstrahlungsdrucks.
Diese Abbildung erhebt nach Angaben der Autoren keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll vielmehr als Diskussionsgrundlage, Identifizierung und Einstufung potenzieller EMCVs dienen.

Toward a definition of Essential Mountain Climate Variables (ScienceDirect 2021)

Einsatzfelder von Fernerkundung in Gebirgen

Basierend auf einer Vielzahl von Fernerkundungsdatensätzen gilt es, geeignete Methoden zu entwickeln und sich an der Erarbeitung und Umsetzung von Strategien für eine nachhaltige Nutzung und Entwicklung in Gebirgsräumen zu beteiligen.

Solche Methoden und Arbeitsabläufe ermöglichen Grundlagenforschung und unterstützen Langzeitforschungsvorhaben insbesondere bei Fragestellungen der Geomorphologie, Naturgefahrenforschung, Vegetationskartierung und Landnutzung.

Beim Photomonitoring hat die große Verfügbarkeit von Bildern im Gefolge der digitalen Photographie im terrestrischen wie auch im luftgetragenen Einsatz, unterstützt durch eine höhere Rechenleistung, dazu geführt, dass die Bildverarbeitung auch fürerschiedlichen Zeiten aufgenommen wurden, verarbeitet werden, wobei Techniken wie Veränderungsdetektion (Change Detection, CD), Bildsegmentierung (Image Segmentation, IS), Bildklassifizierung (Image Classification, IC) und Bewegungsschätzung (Motion Estimation), zum Beispiel auf der Grundlage von digitaler Bildkorrelation (Digital Image Correlation, DIC) und Algorithmen von optischem Fluss (Optical Flow, OF), wodurch die Überwachung von Veränderungen und Dislokationen auf Sub-Pixel-Ebene möglich wird.

Heute können multitemporale Szenen die Erscheinungsformen und Auswirkungen von Prozessen des Globalen Wandels in den Gebirgsräumen der Erde dokumentieren. Mit Hilfe von umfangreichen Datenbanken und Modellen zur Beobachtung und Analyse forscht beispielsweise das österreichische IGF-Team Mensch-Umwelt-Systeme in Gebirgen im Bereich der Kryosphäre (Gletscher und Permafrost), Lithosphäre (Hangrutschungen), Biosphäre (Biodiversität) und Anthroposphäre (bevölkerungsgeographische Prozesse, Landnutzungs-, Landbedeckungs- und Kulturlandschaftswandel, Schutzgebietsentwicklung).

Eine besondere Rolle bei der Entwicklung neuer Monitoringverfahren spielen Fragen der Datenintegration von Nahbereichserkundungs- und Satellitendatensätzen. Solche Datensätze werden beispielsweise mit Hilfe von Drohnen, seismischen und Infraschallsensoren, Laserscannern und GPS-Daten von Satellitensensoren erstellt. Zur Bewältigung der inzwischen exponentiellen Datenzunahme helfen Cloud Computing, künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen.

Sensorik und Plattformen zum Gebirgsmonitoring

Weitere Informationen:


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