Lexikon der Fernerkundung

Gletschermonitoring

Der Begriff bezeichnet die (Langzeit-)Beobachtung von Gletschern, insbesondere ihrer Veränderungen (Dynamik) hinsichtlich der Parameter Länge, Fläche, Volumen und Masse mit Hilfe direkter (Feldmessungen) und indirekter Methoden (Fernerkundung).

Aus zunächst staatlichen oder regionalen Initiativen zum Gletschermonitoring besonders in der Schweiz und Österreich entwickelten sich im 20. Jahrhundert globale Programme. Vor allem die großen Bergsteigerverbände, der Schweizer Alpenclub, sowie der Österreichische und Deutsche Alpenverein haben sich um diese Aufgabe große Verdienste erworben. Staatliche Einrichtungen und geowissenschaftliche Institute komplettieren heute die Beobachtungsnetzwerke.

Bezüglich der Längenmessungen werden beispielsweise von über 900 österreichischen Gletschern vom Österreichischen Alpenverein auch heute noch an rd. 100 Gletschern jährlich die Längenmessungen koordiniert und ausgewertet. Die Methode ist einfach und erfordert keine aufwändigen Instrumente. Von Marken im festen Gelände wird in jedem Sommer die Entfernung zum Eisrand in einer bestimmten Richtung mit dem Maßband festgestellt.

Weltweit verlieren die meisten Gletscher an Masse und schmelzen zurück, deutlich sichtbar für Wissenschaftler und Laien. Durch Änderungen ihres Massenhaushaltes im Zeitrahmen von wenigen Jahren bis zu einigen Dekaden sind Gletscher gute Indikatoren für Klimaveränderungen. Sie sind daher ein wichtiger Forschungsgegenstand der Klimaforschung. Um jedoch globale Aussagen treffen zu können, ist eine genaue Kenntnis aller Gletscher der Erde sowie ihrer wichtigsten Kenngrößen dringend gefordert. Eine vollständige Inventarisierung der Landeismassen und eine systematische Beobachtung des Gletscherverhaltens hat bislang jedoch nur in einigen Teilen der Welt (Europa, Nordamerika und Grönland) stattgefunden.

Im Laufe ihres Zerfalls teilen sich die Gletscher oftmals in mehrere Teile (abhängig von der Topographie) und sind dann kaum noch erkennbar, vor allem wenn die Eisreste von Schuttmassen bedeckt sind. In den letzten Jahren mussten die Messungen an einigen Gletschern eingestellt werden, weil die Gletscher zu klein geworden sind, für eine Begehung zu gefährlich geworden sind, sich in unerreichbare Höhen zurückgezogen haben oder schlussendlich ganz verschwunden sind. So zum Beispiel am Lewis-Gletscher in Kenia, am Chacaltaya-Gletscher in Bolivien oder am Weissbrunnferner in Italien. Mit dem Ende der Messungen müssen langjährige Reihen, teilweise sogar für sogenannte Referenzgletscher mit mehr als 30 Jahren kontinuierlichen Massenbilanzmessungen, eingestellt werden und es gehen wichtige Indikatoren für den Klimawandel verloren.

Der auffallende Gletscherrückgang hat der Erforschung der raschen Veränderungen in den Hochgebirgen neuerlich sehr viel Beachtung verschafft. Dabei ist nicht nur ihre Bedeutung für die lokale und regionale Hydrologie (Wasserkraft, Abfluss, Speicher) ins Zentrum der Forschung gerückt, sondern auch ihr vergleichsweise großer Beitrag (etwa 25-30 %) zum Anstieg des globalen Meeresspiegels (z.B. Zemp et al. 2019). Auch ihre Bedeutung für den Tourismus (Erholung, Skigebiete), das kulturelle Erbe und als Auslöser von Naturgefahren (Destabilisierung von seitlichen Moränen- und Felsflanken, Ausbrüche von Gletscherseen hat ihre Erforschung in den letzten Jahren intensiviert.

Die weltweite Sammlung von Informationen über Gletscheränderungen wurde 1894 mit der Gründung der Commission Internationale des Glaciers beim 6. Internationalen Geologie-Kongress in Zürich begonnen.

Heute setzt der World Glacier Monitoring Service (WGMS) die Sammlung und Veröffentlichung von standartisierten Informationen über die globale Verbreitung von Gletschern und Eiskappen sowie deren Veränderungen fort. Der WGMS ist ein Dienst der International Association of the Cryospheric Sciences innerhalb der International Union of Geodesy and Geophysics (IACS, IUGG) und der Federation of Astronomical and Geophysical Data Analysis Services des International Council for Science (FAGS, ICSU). Er unterhält ein Netz von lokalen Beobachtern und nationalen Korrespondenten in allen Ländern, die sich mit Gletschermonitoring befassen.

In Zusammenarbeit mit dem US National Snow and Ice Data Center (NSIDC) in Boulder und der Initiative Global Land Ice Measurements from Space (GLIMS) ist der WGMS verantwortlich für das Global Terrestrial Network for Glaciers (GTN-G) innerhalb des Global Climate/Terrestrial Observing System (GCOS/GTOS).

Ein erster Versuch ein weltweites Gletscherinventar zusammenzustellen begann in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts vor allem auf der Basis von Luftaufnahmen und Karten. Bis heute erwuchs daraus ein detailliertes Inventar von mehr als 100.000 Gletschern mit einer Gesamtfläche von ca. 240.000 km². Die nicht erfasste Fläche wird auf ca. 445.000 km² geschätzt. Heute wird die Inventurarbeit vornehmlich mit Hilfe von Satellitenbildern fortgesetzt.

Beispiel: Bedeutender Kalbungsvorgang am Jakobshavn-Gletscher am 6. / 7. 2010

NASA-finanzierte Forscher, die den grönländischen Jakobshavn Isbrae Gletscher überwachen, berichten, dass ein 7 km² großes Stück des Gletschers am 6. und 7. Juli 2010 weggebrochen ist, was die Kalbungsfront um nahezu 1,5 km zurückweichen ließ. Das Eisstück besitzt etwa ein Achtel der Fläche von Manhattan, N.Y.

Forschergruppen, die von Ian Howat vom Byrd Polar Research Center an der Ohio State University und von Paul Morin, dem Direktor des Antarctic Geospatial Information Center an der University of Minnesota geleitet werden, analysieren seit einiger Zeit Satellitenbilder bezüglich Änderungen des Eisschildes Grönlands und seiner Auslassgletscher. Zwar ist der dokumentierte Abbruch nicht ungewöhnlich, aber dass er innerhalb von Stunden mit so großer Präzision aufgespürt wurde, ist für Wissenschaftler ein neues Phänomen.

Jakobshavn Isbrae liegt an der Westküste Grönlands auf 69° N. Er hat sich über die vergangenen 160 Jahre mehr als 45 km zurückgezogen, 10 km alleine in der letzten Dekade. Beim Zurückweichen zerbrach er in einen nördlichen und einen südlichen Zweig.

Wissenschaftler gehen davon aus, dass ca. 10 % des gesamten grönländischen Eisverlustes über den Jakobshavn erfolgt, von dem man auch annimmt, dass er den größten Einzelbeitrag zum Meeresspiegelanstieg in der nördlichen Hemisphäre leistet. Im Übrigen sorgen sich die Wissenschaftler mehr um die Verluste des südlichen Zweiges des Jakobshavn-Gletschers, da die Topographie hier flacher und tiefer ist als beim nördlichen Zweig.

Die Forscher stützten sich auf Bildmaterial von mehreren Satelliten wie Landsat, Terra und Aqua um eine umfassende Vorstellung von den Veränderungen der Eismassen an beiden Polen zu erhalten. Dann erhielt die Arbeitsgruppe in den Tagen vor dem Abbruch Bilder des Satelliten WorldView 2, die große Risse und Eisspalten zeigten.

Bedeutender Kalbungsvorgang am Jakobshavn-Gletscher am 6. / 7. 2010 Jakobshavn Rückgang

Siehe auch: Retreat of Jakobshavn Glacier, Greenland (NASA 2014)
Jakobshavn Glacier Calving Front Recession from 1851 to 2009 (NASA )

Quelle: NASA / DigitalGlobe

Das Hauptinteresse im Gletscher-Monitoring liegt dabei nicht nur auf der räumlichen Ausdehnung eines Gletschers, sondern auch auf dessen Topographie. Ein Schwerpunkt der Gletscher-Fernerkundung ist daher die Erstellung eines digitalen Modells der Gletscheroberfläche. Digitale Geländemodelle können aus diversen Daten abgeleitet werden, wie z.B. terrestrischen oder Luftaufnahmen, digitalen Kameradaten, Laserscannerdaten (terrestrisch oder flugzeuggetragen), Flugzeug- und Satellitenradardaten sowie hochauflösenden optischen Satellitendaten.

Das GLIMS-Programm ist dazu ausgelegt, die Gletscher der Erde vorrangig mit Hilfe der Daten von optischen Satelliteninstrumenten zu beobachten, wie z.B. dem Advanced Spaceborne Thermal Emission and Reflection Radiometer (ASTER, Japan/USA), einem Instrument, das an Bord des NASA-SatellitenTerra eingesetzt ist. Die Datensätze von WGMS und GLIMS werden ergänzt durch Erhebungen des GlobGlacier-Projektes und des Internationalen Polarjahres.

Die synergistische Nutzung der ASTER-Daten in Kombination mit aktuellen und historischen Datensätzen anderer Fernerkundungssensoren (Landsat, SPOT; ERS-1/2; RADARSAT etc.), Luftbildern, topographischen Karten, digitalen Geländemodellen und Geländeinformationen ermöglicht die Ableitung zusätzlicher Parameter sowie die Erstellung mehrjähriger Datenreihen. Die Projektergebnisse werden als Grundlage für ein zukünftiges Gletschermonitoring und statistische Auswertungen dienen und über eine Datenbank beim „National Snow and Ice Data Center“ (NSIDC) in Boulder, Colorado, öffentlich zugänglich gemacht. Die Daten finden Eingang in Geographische Informationssysteme (GIS).

Der ASTER-Sensor misst im sichtbaren Bereich in zwei Bändern (grün und rot), mit einem Band im nahen Infrarot, sechs Bändern im kurzwelligen Infrarot und mit fünf Bändern im thermischen Infrarot. Die wichtigsten Bänder für glaziologische Anwendungen sind die im sichtbaren Bereich, im nahen und im kurzwelligen Infrarot. Sie ermöglichen die automatisierte Kartierung von Eis- und Schneeflächen. Diese Technologie nutzt die große Differenz der Eis- und Schneereflektivität, die zwischen dem sichtbaren Bereich, dem nahen und kurzwelligen Infrarot besteht, und sie erlaubt die schnelle Zusammenstellung einer großen Zahl von Gletscherumrissen und ihre zeitlichen Veränderungen. Zusätzlich zu diesen Bändern, die im Senkrechtaufnahme-Modus arbeiten, hat ASTER auch einen rückwärts blickenden Stereosensor, der zusammen mit den Daten der Senkrechtaufnahmen eine photogrammetrische Darstellung der Gletschertopographie und ihre zeitliche Entwicklung ermöglicht.

In jüngerer Zeit rückt verstärkt die Beobachtung von unterschiedlichen Arten eisfremden Materials auf den Gletscheroberflächen in den Fokus. Man entwickelt satellitengestützte Verfahren, mit denen man Fremdmaterial, das von feinen Aerosolpartikeln über Vulkanascheteilchen bis zu großen Gesteinblöcken reicht, unterscheiden kann. Solche Informationen über die geochemische Zusammensetzung von Debris im weiteren Sinne können möglicherweise helfen, Fragen über die Auswirkung des Klimawandels auf Gletscher zu beantworten (s.u. 'Painted Glaciers').

The Arctic The Arctic: a delicate icy ecosystem
(ESA-Video)

Die Arktis ist eine der sich am schnellsten verändernden Regionen der Welt. Der Rückgang des Meereises, das Auftauen des Permafrostes und das Schmelzen der Gletscher sind unmittelbare Auswirkungen des globalen Temperaturanstiegs, der durch die vom Menschen verursachten Emissionen verursacht wird.

Im Video erfahren Sie mehr darüber, wie Satelliten, die 800 km über unseren Köpfen fliegen, uns helfen können, die Veränderungen in dieser abgelegenen Region zu überwachen und zu verstehen.

Quelle: ESA

Beispiel: Earth from Space - the moraines of Malaspina

Die bemerkenswerten Moränenmuster des Malaspina-Gletschers - des größten Vorgebirgsgletschers der Welt - sind auf diesem Falschfarbenbild zu sehen, das von Copernicus Sentinel-2 am 4.Juli 2022 aufgenommen wurde.

Der Malaspina-Gletscher befindet sich westlich der Yakutat-Bucht im Südosten Alaskas, USA. Der Gletscher erstreckt sich über eine Fläche von etwa 2900 km², fließt etwa 80 km entlang der südlichen Basis des Mount St. Elias und ist etwa 300 m dick. Der Malaspina fließt schneller als die Piedmontgletscher in der Antarktis und Grönland. Vorgebirgsgletscher fließen aus einem steil abfallenden Tal, in dem das Eis durch Berge eingeengt wird, in eine flache Ebene. Durch den Wechsel von einem schmalen zu einem breiten Tal entsteht die für den Piemontgletscher charakteristische abgerundete Zunge.

Dieses Sentinel-2-Bild zeigt den zentralen Lobus des Gletschers, der sich in Richtung Meer wälzt. Dieses Bild wurde mit dem Nahinfrarotkanal bearbeitet, um die Vegetation in hellem Rot hervorzuheben. Die gewellten Linien um die untere Hälfte des Gletschers sind Felsen, Erde und andere Ablagerungen, die der Gletscher abgelagert hat - Moränen genannt. Die Farbe des Bodens variiert auf dem Bild von hell- bis dunkelbraun, während Eis und Schnee hellweiß erscheinen. Der niedrige Sonnenstand in den hohen Breiten Alaskas zu dieser Jahreszeit ist an den Schatten zu erkennen, die die Elias-Berge im Norden werfen. Das klare Wasser des Pazifischen Ozeans erscheint dunkelblau, während trübes Wasser in Cyan erscheint.

Der Malaspina-Gletscher wird von Wissenschaftlern in aller Welt eingehend untersucht. Die Anfälligkeit des Gletschers für den Klimawandel und die Zyklen des Anstiegs und Rückzugs wurden von Wissenschaftlern anhand von Copernicus- und Landsat-Daten untersucht. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass das Meerwasser im Falle eines durch den Klimawandel bedingten Anstiegs des Meeresspiegels zu erheblichen Veränderungen am Gletscherende und zu schwerwiegenden Auswirkungen auf die Lebensräume in diesem Gebiet führen könnte.

Die Moränen des Malaspina-Gletschers Die Moränen des Malaspina-Gletschers Quelle: ESA

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