Lexikon der Fernerkundung

digitaler Zwilling

Digitale Zwillinge sind detailgenaue Virtualisierungen physischer Objekte und Systeme. Diese werden in technischen Bereichen bereits für Aufgaben wie Maschinenoptimierung und Hafenmanagement eingesetzt. Im Rahmen der Erdsystemwissenschaft werden digitale Zwillinge die Entwicklung von Szenarien für künftige Zustände und Veränderungen des Erdsystems, die Einschätzung der möglichen Resultate und Risiken vorgeschlagener Maßnahmen und die Erarbeitung von Optionen für nachhaltige Pfade ermöglichen.

Das Konzept der digitalen Zwillinge gewinnt in der Geowissenschaft zunehmend an Bedeutung, insbesondere als Möglichkeit der intuitiven Bündelung von und des einfachen Zugriffs auf Umweltdaten, -modelle und -simulationen. Ein gut konstruierter digitaler Zwilling der Erde wird es einem breiteren Nutzerkreis ermöglichen, mit digitalen Ressourcen zu interagieren, um gegenwärtige und künftige Szenarien zu erforschen, insbesondere in Bezug auf die Interaktion des Menschen mit dem Erdsystem.

Auf Grundlage von Daten, Simulationen und KI-Methoden modellieren sie die Prozesse der realen Welt so exakt wie möglich und haben das Ziel, eine hochpräzise Nachbildung des Klimas, der Umwelt oder Mobilität in der digitalen Welt zu erzeugen. Führt man zum Beispiel bestimmte Umweltparameter wie Temperatur, Niederschlag und aktuelle Landbedeckungsdaten in einem digitalen Klimazwilling zusammen, dann könnte er vorhersagen, welche Regionen der Erde zu einem bestimmten Zeitpunkt besonders von Dürren oder Starkniederschlägen betroffen sind – ein wichtiges Thema auf der Weltklimakonferenz COP27 in Sharm El Sheikh. Der Programmvorschlag Earth Watch – Digital Twin Earth hat zum Ziel, verschiedene digitalen Zwillinge auf Grundlage von Erdbeobachtungdaten zu entwickeln und in einer offenen Plattform zugänglich zu machen. Durch diese neuartige Verknüpfung von Daten und die Nutzung von Methoden wie der Künstlichen Intelligenz, kann Digital Twin Earth Szenarien der Zukunft unserer Erde modellieren und einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels leisten.

Die Entwicklung eines digitalen Zwillings der Erde erfordert internationales Engagement und entsprechende Ressourcen, denn die massive Generierung numerischer Daten sowie deren Verarbeitung und Speicherung ist eine Aufgabe, die nur mit internationalen Bemühungen zu bewältigen ist. Das Ergebnis wird es den Nutzern ermöglichen, eine Familie von anwendungsorientierten digitalen Zwillingen zu schaffen, die gemeinsam Zugriff auf eine Vielzahl von Erdsystemdaten, Vorhersagesystemen und Prognosen hätten.

Da im gesamten „digitalen Ökosystem“ der Erde immer mehr digitale Zwillinge entstehen werden, ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir einen Rahmen schaffen, der ihre Interoperabilität gewährleistet. Durch einen solchen Rahmen von digitalen Zwillingen können Prognose- und Vorhersagekapazitäten schneller vergrößert und zusammengeführt werden, um notwendige Entscheidungen durch die Erforschung von „Was wäre, wenn“-Szenarien wissenschaftlich fundiert zu unterstützen.

Grafik: Konzept des „Digitalen Zwillings“ des Erdsystems

Die folgende Grafik veranschaulicht das Konzept des „Digitalen Zwillings“ des Erdsystems. Ein digitaler Zwilling des Erdsystems ist ein virtuelles Modell, das das echte Erdsystem akkurat abbildet. Das zu untersuchende Subsystem – z. B. das Erdoberfächensystem – wird mit verschiedenen Sensoren ausgestattet, die die wichtgen Feedback-Parameter registrieren. Diese Sensoren liefern Daten zu verschiedenen Funktionen des Subsystems wie Materie- und Energiekreisläufen, Klima-Biosphäre-Geosphäre-Rückkopplungen und vielem mehr. Die Daten werden dann an ein Verarbeitungssystem weitergeleitet und auf die digitale Kopie übertragen.

Sobald solche Daten verfügbar sind, kann das virtuelle Modell für Simulatonen, die Untersuchung von Wechselwirkungen, die Ermittlung von Schwellen und die Ausarbeitung möglicher Trajektorien verwendet werden. Die so gewonnenen wertvollen Erkenntnisse werden dann wieder auf das physische Originalobjekt zurückübertragen und können zur Entwicklung möglicher Lösungen genutzt werden.

Konzept des „Digitalen Zwillings“ des Erdsystems Konzept des „Digitalen Zwillings“ des Erdsystems Quelle: Leopoldina 2022

Europa

Destination Earth (DestinE) ist eine neue EU-Initiative im Rahmen des EU-Programms Digital Europe. Die Initiative Destination Earth zielt darauf ab, sehr präzise digitale Modelle der Erde („Digitaler Zwilling der Erde“) zu entwickeln, um natürliche und menschliche Aktivitäten zu überwachen und zu simulieren. Ziel ist der Aufbau eines digitalen Zwillings der Erde bis Ende des Jahrzehnts, der High Performance Computing (HPC), Big Data (Erdbeobachtung, aber auch viele andere Umweltdaten), KI und Erdsystemmodelle verbindet und hochskaliert. Damit sollen europäische Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft bei den Überlegungen zu Klima- und umweltbezogenen Fragestellungen (What-If-Szenarien) unterstützt werden.

Das ECMWF, die European Space Agency (ESA) und die European Organisation for the Exploitation of Meteorological Satellites (EUMETSAT) sind die drei Organisationen, die von der EU beauftragt wurden, dieses beispiellose Projekt für die Klima-, Wetter- und Computerwissenschaften durchzuführen.

Deutschland

Ein hochauflösendes, digitales Abbild Deutschlands soll Behörden dabei unterstützen, aktuelle Herausforderungen wie Klimawandel, steigender Flächenverbrauch oder soziodemografischer Wandel adäquat und ganzheitlich anzugehen. Als Ausgangsbasis wird ein einheitliches und für Deutschland flächendeckendes hochpräzises 3D-Modell auf Basis modernster, luftgestützter Laserscan-Technologie entwickelt. Die geplante Laserscan-Befliegung soll einen Datensatz mit einer Auflösung von mindestens 40 Punkten pro Quadratmeter liefern. Die 3D-Daten werden in einem nächsten Schritt in einer cloudbasierten Datenhaltungs- und Analyseplattform mit anderen Basis- und Fachdaten verknüpft.

Als zentraler Geodatenbroker des Bundes will das BKG vorrangig der Bundesverwaltung neueste technische Möglichkeiten im Bereich des Geoinformationswesens erschließen und anbieten. Das Vorhaben soll darüber hinaus die Interoperabilität, den Austausch und die intensive Zusammenarbeit zwischen den Stellen des Bundes und deren Partnern auf Länder- und Kommunalebene fördern. Das BKG folgt mit diesem Vorhaben einer Initiative der Europäischen Kommission, die ihrerseits einen Digitalen Zwilling für die gesamte Erde entwickelt.

Der Digitale Zwilling Deutschland setzt sich aus Geodaten und weiteren Geofachdaten zusammen. Er basiert auf einem hochpräzisen 3D-Modell, das mit modernster, luftgestützter Laserscan-Technologie aufgenommen wird. Die Ergänzung durch Satellitendaten und Echtzeitdaten, die mit Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) ausgewertet werden, steigern die Qualität weiter. Mit KI-Methoden können beispielsweise Objekte aus den Rohdaten der Befliegung maschinell abgeleitet und klassifiziert werden.

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