Die Erde mit elektronischen Augen gesehen
Hans-Arthur Marsiske   27.02.2002

Ein virtuelles Gruppengespräch über den europäischen Fernerkundungs-Satelliten Envisat

Wenn alles nach Plan verläuft, soll in der Nacht vom 28. Februar auf 1. März eine  Ariane 5 vom  Europäischen Weltraumbahnhof in Kourou, Französisch-Guayana, abheben und den Umweltsatelliten  Envisat in eine 800 Kilometer hohe Umlaufbahn bringen.

Der Start war ursprünglich für einen früheren Zeitpunkt geplant gewesen. Im vergangenen Juli kam es jedoch zu einer Fehlfunktion der Ariane-Oberstufe, die dazu führte, dass der Kommunikationssatellit Artemis auf einer zu niedrigen Umlaufbahn ausgesetzt wurde. Der 2,3 Milliarden Euro teure Envisat knüpft insbesondere an die Erfahrungen, die die Europäer mit den beiden  Vorgängern ERS-(Earth Remote Sensing Satellite)-1 und ERS-2 sammeln konnten und ist mit insgesamt zehn Instrumenten zur Erkundung der Atmosphäre, der Ozeane und des Festlands ausgestattet.
Der nachfolgende Text beruht auf drei Einzelgesprächen, die nachträglich zu einem virtuellen Gruppeninterview kombiniert wurden. Die Gesprächspartner waren Richard Bamler, Direktor des Instituts für Methodik der Fernerkundung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Oberpfaffenhofen; Michael Bittner, Wissenschaftler am Deutschen Fernerkundungsdatenzentrum (DFD) des DLR, Oberpfaffenhofen; und Andreas Neumann, Leiter der Meeres-Fernerkundung beim DLR, Berlin.

FRAGE: Am 1. März soll der bislang aufwändigste und teuerste europäische Erdbeobachtungssatellit Envisat nach einiger Verzögerung endlich starten - mit einer Rakete, die eine Fehlerquote von 20 Prozent aufweist. Sind Sie nervös?

BAMLER: Ich sehe das optimistisch: Wir verwenden beim Start das wohl am besten getestete Triebwerk. Seit der Fehlfunktion der Ariane-5-Oberstufe im vergangenen Juli hat es ja viele Testläufe gegeben, auch auf dem DLR-Prüfstand in Lampoldshausen, bei denen der Fehler identifiziert wurde. Auch jetzt gibt es noch ständig Tests, die bis zum letzten Moment zu einer Verschiebung des Starts führen können. Aber natürlich sind wir nervös. Man fiebert ja immer sehr lange auf so ein Ereignis hin, und es hängt sehr viel von einem erfolgreichen Start ab.

BITTNER: Wenn der Start am 1. März nicht klappt, haben wir ein großes Problem. An dem Projekt hängen ja viele Arbeitsplätze. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat viel Geld für die wissenschaftliche Verarbeitung der Daten im Rahmen des Atmosphärenforschungsprogramms, AFO-2000, und des Klimaforschungsprogramms, DEKLIM, bereitgestellt. Wenn jetzt keine Daten kämen, wäre das für die Forschergemeinde sehr unbefriedigend.

FRAGE: Envisat ist mit zehn hoch komplizierten Sensoren ausgestattet. Wäre es nicht sinnvoller, sie auf mehrere Satelliten zu verteilen, damit bei einem Fehlstart nicht gleich alle verlorengehen?

BITTNER: Das ist eine Frage der Philosophie. Es gibt heute tatsächlich einen Trend zu kleineren Satelliten. Ein großer Satellit wie Envisat hat allerdings den Vorteil, dass er praktisch ein komplettes Laboratorium im Orbit bereitstellt, mit dem sie verschiedene Messungen auf einmal vornehmen können. Die Erde ist ein System, das man als Ganzes betrachten muss. Die Beobachtung nur einer Komponente, wie etwa der Atmosphäre, reicht für das Verständnis des Systems Erde nicht aus. Wir müssen auch die Biosphäre untersuchen, die Landmassen, die Ozeane und deren Wechselwirkungen untereinander und mit der Atmosphäre. Dafür brauchen wir eine Vielzahl verschiedener Instrumente, wobei es für den Vergleich der Messwerte von Vorteil ist, diese Geräte an einem Ort zu versammeln. Auch die Amerikaner betreiben ja trotz der "Schneller-Besser-Billiger"-Philosophie weiterhin große Erdbeobachtungs-Satelliten wie TERRA, AQUA oder UARS mit jeweils sechs bis zehn Sensoren an Bord.

FRAGE: Ich stelle es mir schwierig vor, bei der Konstruktion eines so großen Satelliten die vielen, verschiedenen Anforderungen an die Sensoren untern einen Hut zu bekommen.

NEUMANN: Wenn man alle Sensoren auf einem Satelliten vereint, sind Kompromisse unumgänglich. Das geht schon beim Orbit los. Für die Erdbeobachtung werden fast ausschließlich sogenannte sonnensynchrone Umlaufbahnen verwendet, die in Polnähe verlaufen und die verschiedenen Breitengrade immer zu gleichen Ortszeit kreuzen. Nun werden aber je nach Fragestellung unterschiedliche Überflugzeiten und Beleuchtungsbedingungen gewünscht. Ein hoher Sonnenstand mag zum Beispiel für manche Festlandbeobachtungen günstig sein, behindert aber durch die starken Reflektionen die Beobachtung der Ozeane. Ein anderes Problem ist das hochkomplexe Datenmanagement all dieser empfindlichen Geräte, die sich gegenseitig nicht stören dürfen. Das ist eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe. Daher war es auch so wichtig, den Artemis-Satelliten trotz des Versagens der Ariane-Oberstufe im vergangenen Juli noch auf die vorgesehene Umlaufbahn anzuheben. Er istals Relaisstation für die Übermittlung der Envisat-Daten unverzichtbar.

FRAGE: Allein drei Instrumente widmen sich der Beobachtung der Atmosphäre. Warum dieser Aufwand? Hätte ein Gerät nicht genügt?

BITTNER: Am Beginn der Konzeption von Envisat haben sich Wissenschaftler zunächst darüber verständigt, welches die dringenden Fragestellungen sind, die in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren geklärt werden müssen. Dabei haben sich relativ schnell drei große Themenblöcke herauskristallisiert: Das ist erstens das nach wie vor bestehende Ozon-Problem, zweitens das Thema Treibhauseffekt und globale Erwärmung und drittens die zunehmende Schadstoffbelastung in der Troposphäre. Der nächste Schritt war die Identifizierung der Parameter, die wir vom All aus beobachten müssen, um diese Fragen beantworten zu können. Da kam relativ schnell eine Liste von Spurenstoffen zusammen, deren Verteilung in der Atmosphäre wir genauer kennen müssen, neben meteorologischen Werten wie Temperatur, Druck oder Windgeschwindigkeiten. Eine solche Vielfalt von Messungen ließ sich mit der erforderlichen Genauigkeit nicht mit einem Sensor realisieren.

FRAGE: Fangen wir mal mit GOMOS an. Dieses Instrument nutzt das Licht von Sternen für die Bestimmung der Ozon-Konzentration?

BITTNER: Das Kürzel steht für "Global Ozone Monitoring by Occultation of Stars". Hier geht es darum, die vertikale Verteilung des Ozons sehr präzise zu vermessen. Dazu wird ein auf- oder untergehender Stern angepeilt und während seiner scheinbaren Wanderung durch die Atmosphäre verfolgt. Dieses Verfahren ermöglicht eine sehr hohe, vertikale Auflösung, hat allerdings den Nachteil, dass pro Orbit nur wenige Messungen möglich sind.

FRAGE: Sie können doch von einem Stern zum anderen springen.

BITTNER: Ja, GOMOS wird etwa 45 verschiedene Sterne pro Orbit anpeilen können, aber auch das reicht nicht für eine flächendeckende Beobachtung. Wir bekommen nur vereinzelte Messwerte, die allerdings hochgenau mit einer vertikalen Auflösung von etwa einem Kilometer im Höhenbereich von 15 bis 80 Kilometern.

FRAGE: Unterhalb 15 Kilometer kommt vermutlich der zweite Sensor ins Spiel?

BITTNER: Ganz genau, diese Messungen führen wir mit SCIAMACHY (Scanning Imaging Absorption Spectrometer for Atmospheric Chartography) durch. Im Unterschied zu GOMOS, das im ultravioletten und sichtbaren Bereich des Spektrums misst, verfügt SCIAMACHY auch über Messkanäle im nahen Infrarotbereich, ungefähr zwischen 0,2 bis 3 Mikrometer. Das Interessanteste an diesem Instrument ist aber, dass es in zwei verschiedenen Modi betrieben werden kann: Es kann sowohl zum Horizont schauen als auch senkrecht nach unten und dabei das von den Molekülen reflektierte Sonnenlicht messen.

FRAGE: Demnach lässt es sich nur bei Tag einsetzen?

BITTNER: Ja, im Unterschied zu GOMOS, das nur Nachts arbeitet. Durch den senkrechten Blick nach unten, den sogenannten Nadir-Modus, bekommen wir Informationen auch über Spurengase in der Troposphäre, der untersten Schicht der Atmosphäre. Hier erhoffen wir uns insbesondere Fortschritte bei der Aufklärung des Kohlenstoffzyklus. Für die Umsetzung und Verifizierung des Kyoto-Protokolls ist es ja erforderlich, genau zu wissen, wo Kohlendioxid, das prominenteste Treibhausgas, entsteht und wo es absorbiert wird. SCIAMACHY ist das erste Instrument, mit dem versucht wird, die Verteilung von Kohlendioxid in der Troposphäre im großen Maßstab vom Satelliten aus zu bestimmen.

FRAGE: Das dritte Atmosphären-Instrument misst vornehmlich im Infrarotbereich?

BITTNER: Der Name dieses Sensors ist MIPAS (Michelson Interferometer for Passive Atmospheric Sounding). Er beobachtet im Infrarot den Bereich zwischen 4 und 20 Mikrometern und erfasst damit die Konzentrationen von etwa einem Dutzend Spurengasen, teilweise den gleichen wie SCIAMACHY. Der Vergleich dieser Daten wird sehr interessant werden. MIPAS reicht zwar nicht bis in die Troposphäre hinunter, kann dafür aber bei Tag und bei Nacht und bis in Höhen von etwa 150 Kilometern messen. SCIAMACHYs obere Grenze liegt dagegen bei ungefähr 55 Kilometern.

FRAGE: Wodurch unterscheiden sich Instrumente zur Beobachtung der Atmosphäre von denen, die vornehmlich aufs Festland oder auf die Ozeane ausgerichtet sind?

NEUMANN: Da geht es im Wesentlichen um drei Parameter. Das ist zum einen die räumliche Auflösung: Landbezogene Sensoren können heutzutage noch Strukturen von einigen Metern Größe auflösen. Bei den Ozeansensoren spielt die Strukturerkennung keine so wichtige Rolle. Hier zählt das Envisat-Instrument MERIS mit 250 bis 300 Metern derzeit zu den leistungsfähigsten Geräten. Atmosphärensensoren dagegen, die sich sehr großflächige Phänomene anschauen, kommen mit einer räumlichen Auflösung im Zehn-Kilometer-Bereich aus. Das zweite Unterscheidungskriterium betrifft die spektrale Auflösung: Hier werden von der Landbeobachtung die geringsten Anforderungen gestellt, da es vorrangig um die Identifizierung von Objekten geht. Für viele Landanwendungen genügen daher relativ wenige Farbkanäle mit einer Auflösung von 50 bis 100 Nanometern. Bei der Ozeanbeobachtung kommt es mehr auf die Feinheiten in den Farbabstufungen an, hier liegen die Auflösungsvermögen der Sensoren daher bei etwa 5 Nanometern. Die Atmosphärensensoren schließlich sind mindestens noch eine Größenordnung besser. Sie können noch Farben unterscheiden, die weniger als 0,5 Nanometer auseinander liegen.

FRAGE: Wie hoch ist zum Vergleich das spektrale Auflösungsvermögen des menschlichen Auges?

NEUMANN: Das menschliche Auge verfügt über drei Farbkanäle, deren Auflösungsvermögen jeweils bei ungefähr 200 Nanometern liegen.

FRAGE: Und der dritte Parameter zur Unterscheidung von Land-, Meeres- und Atmosphärenbeobachtung?

NEUMANN: Das ist der Spektralbereich, in dem beobachtet wird. Das ist bei Festland und Ozean im Wesentlichen das sichtbare Licht und zur Temperaturmessung das Infrarot. Die Atmosphärensensoren decken einen wesentlichen größeren Bereich zwischen Ultraviolett und Infrarot ab, je nachdem, welche Stoffe erfasst werden sollen.

FRAGE: Was lernen Sie aus den Farben des Wassers?

NEUMANN: Mit Hilfe von biophysikalischen Modellen, die die Absorptions- und Streueigenschaften der Stoffe im Wasser beschreiben, können wir aus den beobachteten Spektren die quantitative Verteilung dieser Stoffgruppen herleiten. Dabei geht es im Wesentlichen um drei Gruppen von Inhaltsstoffen: Zum einen interessiert uns das Phytoplankton, also die biologisch aktiven Substanzen. Dessen Konzentration wird in der Regel anhand des Chlorophyllgehalts ermittelt. Die zweite interessante Stoffgruppe sind die Sedimente, das sind Sandteilchen und Mineralien, die im Wasser aufgeschwemmt sind und sich typischerweise im Uferbereich und in Flussmündungen konzentrieren. Flüsse transportieren ja den Hauptanteil des Sediments in die Meere. Hier möchten wir wissen, wohin diese Sedimente fließen und wo sie sich ablagern. Außerdem bietet die Beobachtung der Sedimentationsprozesse Aufschluss über die Strömungsverhältnisse im Küstenbereich und hilft uns damit auch, die Ausbreitung von Schadstoffen zu verfolgen. Als dritte Gruppe interessieren uns schließlich die gelösten organischen Substanzen, die häufig zu einer dunklen oder sogar schwarzen Färbung des Wassers führen können, aber nicht a priori schädlich sind.

FRAGE: Herr Bamler, Sie haben sich bei Envisat vor allem um das ASAR-Instrument gekümmert. Wo lag Ihr Ausgangspunkt für die Entwicklung?

BAMLER: ASAR steht für "Advanced Synthetic Aperture Radar", ein mit Mikrowellen arbeitendes, aktives Verfahren. Es liefert Bilder unabhängig von der Tages- oder Nachtzeit und der Wolkenbedeckung. Das ist eine wichtige Motivation für die Verwendung solcher Geräte. Eine zweite Motivation besteht darin, dass das Synthetic Aperture Radar (SAR) Eigenschaften der Meeresoberfläche sehr gut abbilden kann. Es reagiert sehr empfindlich auf die Rauigkeit von Oberflächen: Bei einer glatten Fläche wird der schräg auftreffende Radarstrahl komplett weg reflektiert und die betreffende Stelle erscheint schwarz. Eine durch Wind aufgeraute Oberfläche dagegen spiegelt die Signale teilweise zum Sensor zurück. Aus den Helligkeitsabstufungen können wir daher direkt auf die jeweiligen Wellenformen und -höhen sowie auf die Windrichtungen und Windgeschwindigkeiten schließen. Solche Daten, die witterungsunabhängig erhoben werden, können zum Beispiel für die Seegangsvorhersage und zur Optimierung von Schiffsrouten verwendet werden.

FRAGE: Sie konnten dabei an frühere Erfahrungen anknüpfen?

BAMLER: Wir bauen vor allem auf den Erfahrungen mit den beiden europäischen Fernerkundungssatelliten ERS 1 und 2 auf. Am DLR haben wir von Anfang an die "Processing and Archiving Facility" im Auftrag der ESA betrieben, eins der europäischen Zentren zur Verarbeitung der ERS-Daten. Das Radar selbst liefert ja keine Bilder, die Rohdaten sehen eher aus wie eine Sendestörung auf dem Fernseher und müssen erst durch aufwändige Rechenverfahren in Bilder umgewandelt werden. Um diese Verfahren entwickeln und optimieren zu können, muss man sehr viel über die Eigenheiten des Sensors und die Besonderheiten der Satellitenflugbahn wissen. All das fließt direkt in die Qualität der Bilder ein. Es ist ungefähr so, als würden Sie ein Foto ohne Objektiv machen und die Wirkung des Objektivs erst später im Rechner digital hinzufügen.

FRAGE: Wie aufwändig ist die Entwicklung solcher Algorithmen?

BAMLER: Da fließen je nach Komplexität 10 bis 20 Personenjahre ein. Aber im Vergleich zur Arbeit, die in der Satellitenhardware steckt, ist das eher wenig.

FRAGE: Und was ist nun "advanced", also verbessert, an ASAR?

BAMLER: Wir können zum ersten Mal den Radarstrahl steuern. Die Antenne auf ERS war relativ einfach und hat die Erde immer aus dem gleichen, festen Winkel von 23 Grad beobachtet. Wenn Sie von einer bestimmten Stelle auf der Erde ein Bild aufnehmen wollten, mussten Sie daher warten, bis der Satellit dort hinüberfliegt. Das konnte im ungünstigsten Fall bis zu 35 Tage dauern. Bei ASAR besteht die Antenne aus lauter kleinen Sendern und Empfängern, die elektronisch so angesteuert werden können, dass der Strahl in eine gewünschte Richtungen gelenkt wird. Dadurch konnte die Wiederholrate für die Abbildung bestimmter Gebiete auf wenige Tage reduziert werden. Außerdem können wir den Strahl schnell hin und her schwenken und so einen viel breiteren Streifen abdecken. Mit einer mechanisch gesteuerten Antenne ginge das nicht, weil Sie sie dafür bis zu hundert Mal pro Sekunde schwenken müssten. Mit ASAR können wir auf diese Weise bis zu 1000 Kilometer breite Streifen quer zur Flugrichtung aufnehmen, bei dieser extremen Breite dann allerdings mit reduzierter Auflösung. Die ERS-Sensoren waren auf 100 Kilometer beschränkt.

FRAGE: Inwieweit lassen sich die Envisat-Daten militärisch oder sicherheitspolitisch nutzen?

BAMLER: Envisat ist ein Projekt der ESA, und die ESA hat sich der zivilen, friedlichen Nutzung der Raumfahrt verschrieben. Das heißt, alle Daten sind frei zugänglich. Auch militärische Behörden können sie verwenden. Aber wir können sie ihnen nicht exklusiv zur Verfügung stellen. Für sicherheitspolitische Anwendungen wird derzeit die Satellitenflotte SAR-LUPE gebaut, die allerdings über erheblich höheres räumliches Auflösungsvermögen und höhere Wiederholraten verfügen wird als ASAR.

FRAGE: Für wie begründet halten Sie die Hoffnung, mit Hilfe der Envisat-Daten das Tauziehen um die Auslegung des Kyoto-Protokolls und den Handel mit Emissionsrechten beenden zu können? Über die Interpretation dieser Daten könnten Wissenschaftler ja auch wieder lange und ausgiebig streiten.

BITTNER: Dazu muss man zunächst sagen, dass Envisat konzipiert wurde, lange bevor von Kyoto die Rede war. Daher sind die Instrumente nicht für die Messung troposphärischer Gase optimiert, um die es im Kyoto-Protokoll vornehmlich geht. Ob die SCIAMACHY-Daten für die Überprüfung des Klimaschutzabkommens ausreichen, muss sich erst noch zeigen. Wahrscheinlich werden weitere Messungen, auch am Boden und von Flugzeugen aus, erforderlich sein. Wichtig wird auch die Verknüpfung der Messungen mit leistungsfähigen Modellen der Atmosphäre sein.

FRAGE: Envisat gilt als Umweltsatellit, weil er der Klima- und Umweltforschung wertvolle Daten liefern soll. Zugleich wird aber auch auf eine stärkere Kommerzialisierung der Fernerkundung gedrängt. Befürchten Sie nicht, dass eine solche Kommerzialisierung dem Umweltschutz entgegenwirken kann, wenn zum Beispiel Fernerkundungsdaten zur Lenkung von Fischfangflotten eingesetzt werden und dadurch die Ausbeutung der Meere effektivieren?

NEUMANN: Nein, die Befürchtung teile ich so nicht. Die Optimierung der Fischfangrouten muss an sich nicht schlecht sein. Die Daten können ja auch dazu dienen, die Flotten dorthin zu lenken, wo die Gefahr einer Überfischung am geringsten ist. Das Problem der Kommerzialisierung sehe ich eher woanders. Umweltschutz ist in erster Linie eine hoheitliche Aufgabe, die auf den verschiedenen Ebenen von den jeweiligen öffentlichen Institutionen, von der UNO bis zur Gemeindevertretung, wahrgenommen wird. Ich denke, das ist auch richtig so. Ich sehe jedenfalls nicht, wie der Markt alleine diese Dinge regeln soll. Trotz aller Anstrengungen hat es bisher noch keinen Fernerkundungssatelliten gegeben, der sich ökonomisch selbst getragen hat. Wenn man sich die kommerziellen Projekte ansieht, die es bei den Amerikanern gegeben hat und immer noch gibt, stellt man fest, dass sie sich hauptsächlich über Datenverkäufe ans Militär oder an die Regierung finanzieren. Da halte ich es für konsequenter und vernünftiger, speziell die Satelliten zur Umweltbeobachtung komplett unter öffentliche Kontrolle zu stellen und die Daten freizugeben.

FRAGE: Die Umwandlung dieser Rohdaten in greifbare Informationen, womöglich auf spezifische Kundenbedürfnisse zugeschnitten, könnte dann aber kommerziell interessant sein?

NEUMANN: Das ist eine ganz andere Geschichte, die durchaus funktionieren kann und in Zukunft auch noch zunehmen wird. Aber die Gesamtkette, vom Bau und Betrieb des Satelliten selbst bis zur Verwertung der Daten, kommerziell erfolgreich zu betreiben, dürfte auf absehbare Zeit nicht möglich sein.